Kleve. Alte Bücher und ihr wahrer Wert

Kleve. · Großer Andrang herrschte beim Schätztag für alte Bücher in der Klever Stadtbibliothek. Drei erfahrene Antiquare gaben Auskunft.

 Helmut van Bebber bei der Arbeit: Er war einer von drei Experten, die in Kleve den Wert alter Bücher schätzten.

Helmut van Bebber bei der Arbeit: Er war einer von drei Experten, die in Kleve den Wert alter Bücher schätzten.

Foto: Markus van Offern

Verstaubte Folianten mit Lederrücken, vergilbte Seiten, handschriftliche Widmungen aus ferner Vergangenheit - ein bisschen Geheimnis schwebt immer über alten Büchern. Was sie auf dem antiquarischen Buchmarkt wirklich wert sind, darüber können nur erfahrene Antiquariatsbuchhändler Auskunft geben. Zum wiederholten Mal fand in der Stadtbibliothek Kleve ein Schätztag für Bücher statt.

Eckard Erdmann (Buchhandlung Hintzen), Helmut van Bebber (Antiquariat Zeitzeichen) und Peter Cornelissen ("The Prints Collector" in den Niederlanden) bewerteten die "Schätzchen", die in manch einem Wohnzimmerregal geschlummert hatten. Der Andrang war groß. Alle aber hatten viel Zeit mitgebracht, warteten geduldig in der Schlange, manch einer mit einem Waschkorb voll alter Bücher. "Der Stapel ist fürs Altpapier", sagt Eckard Erdmann und legt mehrere Exemplare übereinander. "Hört sich hart an", sagt er. Dann hält er inne, schaut sich ein Buch länger an, erkennt den Namen des Illustrators - das könnte interessant sein. Expertenkollege Peter Cornelissen ist jetzt gefragt. Er ist der Fachmann für alte Drucke und Grafiken. Auch er kennt den flämischen Grafiker Felicien Rops. Ein schneller Blick mit der Lupe - es ist kein Original, nur ein Nachdruck. Doch es gibt auch Kostbarkeiten. Die hat Heinz Lippe aus Kleve im Waschkorb. Der ehemalige Buchbinder zeigt ein Faksimile der Schedelschen Weltchronik aus dem Jahre 1933. Erdmann weiß sofort: das Original von 1493 liegt in der Nationalbibliothek in Prag. Die originalgetreue Nachbildung trägt die Nummer 802 von 1000 Exemplaren. Für den Besitzer Lippe hat der eindrucksvolle Foliant auch einen ideellen Wert. Er bekam ihn geschenkt von einem Freund, der wegen seiner beginnenden Alzheimer-Erkrankung das Buch in sichere Hände geben wollte.

Kriterien für die Bewertung sind nicht nur Zustand und Alter. Entscheidend ist, wie viele Exemplare es vom Titel noch gibt. Auch der Inhalt zählt. Eine gut erhaltene Ausgabe von Goethes "Reineke Fuchs" behandelt Erdmann sehr sorgfältig. "Sie stammt sogar von Goethes Originalverlag. Dafür gibt es Interessenten", sagt er. Viele Besitzer alter Bücher zeigten mehrbändige Lexika oder religiöse Erbauungsliteratur, Heiligenerzählungen und alte Bibeln. "Da ist die Nachfrage gleich Null. Sie sind eigentlich nur noch dekorativ", lautet das ernüchternde Urteil von Helmut van Bebber. "Ein Atlas wäre vielleicht noch interessant", sagt er. Gut gedruckte alte Karten fänden oft Abnehmer. Darauf schaut er sich ein kleines Bändchen über Palästina genauer an. Es ist ein Reiseführer aus dem Jahr 1904. "Das ist etwas für Liebhaber und Sammler, es könnte 80 bis 100 Euro bringen", schätzt van Bebber. Interessiert begutachtet er eine alte Postkartensammlung. Jede Karte ist beschrieben und wurde vor vielen Jahren zugestellt. "Je kleiner der Ort, desto interessanter", sagt der Fachmann. Immer wieder schauen die Antiquare ins Internet, forschen in Portalen für antiquarische Bücher, in Auktionsberichten und Archiven, damit ihre Expertise möglichst genau ausfällt.

Jens Neumann, Leiter der Klever Stadtbibliothek stellt gerne Platz und EDV-Anlage zur Verfügung. "Ich finde alte Bücher sehr spannend, beurteilen kann sie aber nur ein Fachmann", sagt er. Wie wird man Antiquar? Peter Cornelissen war Landschaftsarchitekt, das Sammeln alter Stiche und Grafiken sein Hobby. Dann wurde es zur Hauptsache. "Von jedem Stück, das man zum ersten Mal in der Hand hat, lernt man", sagt er. Zu den wertvollsten Stücken, die er restauriert hat, gehört "Melencolia", einer der berühmtesten Meisterstiche Alfred Dürers von 1514. Häufig aber lautete an diesem Tag das Urteil: "Leider gibt es keinen Käufer mehr dafür." "Der Markt kontrolliert und diktiert uns", sagt Erdmann. Und mit einem Schmunzeln: "Egal wie viele Bibeln Sie haben, ob Sie in den Himmel kommen, entscheidet ein anderer."

(RP)
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