Kranenburg-Wyler An der Grenze zum Glück

Kranenburg-Wyler · Vor 50 Jahren öffnete eine Lotto-Annahmestelle in Wyler. In einer überschaubaren Geschäftsstelle verkauften Gerhard und Gonda Hagemann die ersten Tippscheine. Es war der Grundstein für ein florierendes Unternehmen, bei dem aktuell 20 Mitarbeiter beschäftigt sind.

 Johannes Hagemann und seine Schwestern Josefa (l.) und Irmgard sind mit Lotto, Toto und Rennquintett aufgewachsen.

Johannes Hagemann und seine Schwestern Josefa (l.) und Irmgard sind mit Lotto, Toto und Rennquintett aufgewachsen.

Foto: Markus van Offern

Wenn Johannes Hagemann (50) aus dem Fenster seines Büros schaut, dann blickt er auf endlose Wiesen und Äcker. Sein Arbeitszimmer befindet sich in Deutschland, das Land hinter der Glasscheibe gehört zu den Niederlanden. In dem Raum hängen vier Bildschirme an der Wand. Hier ist zu sehen, was sich eine Etage tiefer abspielt. Hagemann ist Chef des gleichnamigen Lotto- und Reisecenters in Wyler. Im Erdgeschoss sind die Geschäftsräume. Der 50-Jährige führt ein Unternehmen, dessen Erfolgskurve nur eine Richtung kennt: von links unten nach rechts oben.

Seit 50 Jahren gibt es die Agentur. Für die blendende Entwicklung war jedoch nicht allein unternehmerisches Geschick verantwortlich. Es ist die Lage. Vor der Haustür beginnt Holland. Im Zuge von Reparationszahlungen an die Niederlande und anschließender Grenzbegradigung, kam es dazu, dass das Wohngebäude der Hagemanns in Deutschland steht, der Garten aber zu den Niederlanden gehört.

1966 eröffnete der Vater von Johannes, Gerhard Hagemann, die Agentur. Er war gelernter Schmied und hartnäckig. Mehrere Anträge musste er stellen, bis er von der Lotto-Gesellschaft die Genehmigung erhielt. Die Filiale war den Aufsehern des Glücksspiels stets zu klein. Mit Hilfe des Schulleiters von Wyler, der eine Kamera mit Weitwinkelobjektiv besaß, wurden geeignete Bilder gemacht. Das Innere des Geschäfts erinnerte auf den Fotos eher an die Größe einer Turnhalle.

Gerhard Hagemann reiste durch das Nachbarland und verteilte Werbezettel, mit denen er seine Agentur bekannt machte. Die Aktion zeigte Wirkung und hält bis heute noch an. "Mehr als 90 Prozent unserer Kunden sind Niederländer. Es kommen immer noch welche aus Rotterdam, um ihren Tippschein hier abzugeben", sagt Johannes Hagemann. Die Annahmestelle an der Grenze soll zu den umsatzstärksten in Nordrhein-Westfalen gehören. Vor einer Erweiterung standen die Kunden in Schlangen vor dem Haus, mit dem Tippschein in der Hand und der Hoffnung auf den Coup. Ein Grund für Holländer, bei den Hagemanns zu spielen, ist der mögliche Gewinn. Der ist hierzulande um ein vielfaches höher und im Gegensatz zu den Niederlanden steuerfrei. Aber das allein ist es nicht. Die Freunde von "6 aus 49" kommen gern. Hier fühlen sie sich wie zu Hause. Denn in Wyler sind die Grenzen längst verschwommen. So hängen etwa am Haus Schilder, auf denen Hinweise zum richtigen Abstellen von Fahrrädern stehen: "Fietsen tegen de muur platsen - verboden". In der Annahmestelle wird niederländisch gesprochen. Zum Kaffee gibt es wie in Holland üblich einen Keks.

Jan Wijers (59) findet das angenehm. Die Atmosphäre hier habe nahezu etwas familiäres, erklärt er. So nehmen mit Irmgard und Josefa auch die beiden Schwestern des Chefs die Glückszettel an, seitdem sie über den Tresen gucken können. Jan Wijers wohnt im Nachbarort Groesbeek und steht jeden Samstag vor dem Schalter. Eine Gewohnheit, die seinem Wochenende Struktur gibt. Zwei Tippscheine zückt er aus seinem Portemonnaie. "Einer ist von mir, den anderen füllen wir gemeinsam auf der Arbeit aus", sagt der Mann. Im Alter von 17 Jahren hat er bei Vater Hagemann mit dem Spielen begonnen. Seit 42 Jahren setzt er jede Woche zehn Euro ein. "Groß gewonnen habe ich nichts", betont Wijers. Dennoch wird er zusammen mit der Hoffnung nächsten Samstag wieder kommen. An der Filiale kann die anhaltende Pechsträhne des 59-Jährigen nicht liegen. "Hier sind schon einige als Millionäre wieder rausgegangen", sagt Hagemann.

Doch sind nicht allein die Tippscheine der Grund für die erfolgreiche Entwicklung des Unternehmens. Von 1985 bis 2001 konnte in der Geschäftsstelle auch Geld gewechselt werden. Gulden in deutsche Mark und umgekehrt. Mitte der 80er Jahre wurden viele Geschäfte noch in bar abgewickelt. Wer als Niederländer ein Auto in Deutschland kaufte, tauschte vorher bei Hagemann die Scheine und zahlte 1,5 Prozent Gebühren. "Das war zweifellos ein einträgliches Geschäft", blickt der 50-Jährige zurück, das mit der Einführung des Euro abrupt zu Ende ging.

Aus dem ehemaligen Lotto-Center wurde das Lotto- und Reisecenter. Eine weitere kluge Entscheidung. Urlaubsangebote sind in Deutschland günstiger. Die Laufkundschaft der Lottospieler bleibt jetzt häufiger, um nach Zielen für die schönsten Wochen des Jahres zu suchen. So sitzen am Samstagnachmittag zwei Paare auf roten Ledersofas, blättern in Katalogen und warten darauf, dass einer der fünf Beraterplätze frei wird. Der Umsatz, der mit den pauschalen Reisen erzielt wird, hat den mit den Tippscheinen längst abgehängt. Doch wird sich Johannes Hagemann nicht von seiner Lotto-Annahmestelle trennen. Auch 50 Jahre nach der Eröffnung ist das Geschäft mit dem Glück immer noch ein lohnendes - weil Glück keine Grenzen kennt.

Bis Samstag, 8. Oktober, wird das Jubiläum im Lotto- und Reisecenter gefeiert. Gewinne warten auf Kunden.

(jan)
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