RP-Serie Verborgene Orte Auf der Suche nach der Todesursache

Kleve · In der Rechtsmedizin Duisburg werden Opfer ungeklärter Todesursachen aus dem Kreis Kleve untersucht. Ungefähr 500 Obduktionen pro Jahr werden dort von Rechtsmediziner Lars Althaus und seinen Kollegen durchgeführt.

 Rund 500 Obduktionen erfolgen pro Jahr in der Rechtsmedizin Duisburg.

Rund 500 Obduktionen erfolgen pro Jahr in der Rechtsmedizin Duisburg.

Foto: Christoph Reichwein

Viele Dinge bleiben auch nach Jahren unangenehm, sagt Lars Althaus. "Die Gerüche, der Anblick", berichtet der Rechtsmediziner. Er steht neben dem silbernen Obduktionstisch im Keller des Klinikums Duisburg. Der Raum ist vollständig gekachelt. Die Luft ist feucht, es riecht nach Desinfektionsmitteln und etwas Undefinierbarem. Es ist ein Geruch, den man auch nach Verlassen des Raumes nicht vergisst. "Man gewöhnt sich daran", sagt Althaus.

Vor nicht einmal einer Stunde wurde in diesem Saal ein Toter obduziert, der Raum ist frisch gereinigt. Ein Mensch, der plötzlich aus dem Leben gerissen wurde und dessen Todesursache ohne Obduktion nicht sofort festgestellt werden konnte. "Fast jeder, der hier liegt, wusste am Vortag noch nicht, dass er zu uns kommen wird", sagt Lars Althaus. Rund 500 Obduktionen im Jahr führt der Rechtsmediziner mit seinen Kollegen durch. Manchmal seien es fast 20 pro Woche. Die Rechtsmedizin wird immer dann um einen klinischen Befund gebeten, wenn sich die Todesursache nicht klären lässt oder der Verdacht auf ein Gewaltverbrechen besteht.

Auf den ersten Blick erinnert der Autopsierau an einen gewöhnlichen OP-Saal. Eine große Operationsleuchte hängt unter der Decke, in der Mitte des Raums befindet sich ein Tisch. Es gibt eine Leuchtwand für Röntgenbilder, Desinfektionsspender und Handschuhhalter. Doch wer sich zur Seite dreht, sieht den wesentlichen Unterschied: An der Wand sind durchnummerierte Kühlzellen mit Metalltüren. Dahinter liegen Leichen. "Dabei handelt es sich jedoch um Personen, die hier im Klinikum verstorben sind. Sie werden von uns nicht obduziert", sagt Althaus. Im Nachbarraum gibt es weitere zwölf Kühlfächer, einige von ihnen können sogar abgeschlossen werden. "Sie sind für prominente oder heikle Fälle, auf die Dritte keinen Zugriff haben dürfen", erklärt Althaus.

Seit 16 Jahren arbeitet er bereits als Rechtsmediziner, zehn Jahre davon in Duisburg. Er hat die Opfer großer Fälle untersucht, darunter die Verstorbenen der Loveparade-Tragödie oder die Getöteten der sogenannten Mafia-Morde. Über die Jahre hat er viele skurrile Dinge gesehen, in menschliche Abgründe geblickt. "Es gibt immer Momente, wo man glaubt, es gibt keine Steigerung - und dann erlebt man irgendwann wieder eine neue Überraschung", sagt Althaus. Dennoch gewöhne man sich an vieles. Das müsse man auch, um den Beruf ausüben zu können: "Bei uns ist das Leiden vorbei. Das ist bei den Kollegen, die zum Beispiel Krebspatienten behandeln, anders", so Althaus.

Es gebe aber auch Fälle, die so schockierend sind, dass sie den Rechtsmediziner noch zu Hause beschäftigen würden. "Wir sehen immer wieder schwer misshandelte Kinder, die lange gelitten haben oder schwere Verletzungen aufweisen. Sie sind oft durch die Hölle gegangen. Das nimmt einen immer noch mit", berichtet Althaus.

Besteht der Verdacht auf ein Gewaltverbrechen, wird die Rechtsmedizin sofort von den Ermittlungsbehörden konsultiert. Häufig würden er oder ein Kollege zum Tatort fahren, um die Auffindesituation in Augenschein zu nehmen und erste Spuren zu sichern, sagt Althaus: "Anschließend bringt ein Bestatter den Toten zu uns ins Institut." Die Obduktion, bei der nicht selten auch die ermittelnden Kriminalbeamten sowie ein Staatsanwalt anwesend seien, erfolge nach einem strengen Muster. Zunächst würde der Leichnam äußerlich untersucht, der Zustand für das Protokoll beschrieben: "Von Augen- und Haarfarbe bis hin zur kleinsten Verletzung am Körper wird alles penibel aufgenommen." Anschließend beginne die eigentliche Obduktion. "Wir müssen, auch wenn wir die Todesursache bereits kennen, alle Körperhöhlen öffnen - das heißt: Bauch, Brust und Kopf", sagt Althaus. Dabei würde jedes Organ entnommen, untersucht und gewogen. Das Gewicht wird anschließend auf einer Tafel an der Wand des Raumes eingetragen. "Am Gewicht der Organe kann man schon viele Krankheitsbilder ablesen", erklärt Lars Althaus. Am Ende der Obduktion würde der Staatsanwaltschaft ein abschließender Befund übermittelt.

Vorsätzliche Tötungsdelikte würden - glücklicherweise - jedoch nur einen Bruchteil ihrer täglichen Arbeit ausmachen. Es seien knapp 30 im Jahr, sagt Althaus: "Am häufigsten kümmern wir uns um Menschen, bei denen der Tod auf ungeklärte Weise plötzlich und unerwartet eingetreten ist." Außerdem ginge es häufig um Fragen von ärztlichen Behandlungsfehlern, Rekonstruktionen von Unfällen und die Identifizierung von unbekannten Toten, die beispielsweise aus dem Rhein geborgen wurden. Auch lebendende Patienten, die Opfer von Gewaltverbrechen wurden, werden von der Rechtsmedizin untersucht.

Das Wissen, dass das Leben innerhalb von Sekunden vorbei sein kann, beeinflusst auch den Alltag eines erfahrenen Rechtsmediziners: "Man lebt bewusster, zögert wichtige Entscheidungen und Ereignisse nicht lange hinaus. Es könnte sein, dass es sonst zu spät ist."

(RP)
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