Kleve-Rindern Aus Rindern in den Ersten Weltkrieg

Kleve-Rindern · Sonntag vor 100 Jahren wurde Pionier Lambert Tönnissen aus Rindern eingezogen. Der Weg seiner Kompanie ist durch eine Chronik äußerst gut dokumentiert. Die zeigt auch Soldatenleben jenseits der Front.

 Lambert Tönnissen auf dem Feld. Vom dritten bis zum letzten Tag des Krieges war der Rinderner im Einsatz.

Lambert Tönnissen auf dem Feld. Vom dritten bis zum letzten Tag des Krieges war der Rinderner im Einsatz.

Foto: Gottfried Evers

Elf Männer liegen im Gras, die einen lächeln unbeschwert in die Kamera, die anderen sind noch mit dem Mittagessen beschäftigt. Einzig ihre Mützen und akkuraten Uniformen verraten den Trupp - nicht als Picknick-Gesellschaft, sondern als Soldaten im Krieg: Pioniere der 18. Eisenbahnkompanie. Das Bild ist am 21. August 1914 beim Mittagsmahl in Ulflingen (Luxemburg) entstanden und eröffnet die Bildchronik, die den Weg der Kompanie durch den ersten Weltkrieg nachzeichnet. Durch Luxemburg, Frankreich und Belgien, Polen und Litauen, die Ukraine, Rumänien und Italien. Der Weg von Pionier Lambert Tönnissen aus Rindern. "Mein Vater hat später eigentlich nie über den Krieg gesprochen", sagt Alfons A. Tönnissen heute, knapp 100 Jahre nach Kriegsbeginn. Eine Erklärung hat der Sohn für das große Schweigen. "Mein Vater war ein eigenwilliger Typ, aber der Krieg hat ihn schon mitgenommen", meint er.

 Alfons A. Tönnissen mit einem Gewehr, der Kriegsbeute seines Vaters.

Alfons A. Tönnissen mit einem Gewehr, der Kriegsbeute seines Vaters.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Hunderte Bücher hat Alfons A. Tönnissen über beide Weltkriege zusammengetragen, hat alles gesammelt, das auch seine eigene Familiengeschichte betrifft. Zwei ganz besondere Andenken sind ihm beim Umbau seines Hauses in die Hände gefallen. Ein russisches und ein französisches Gewehr, beide mit dem dazugehörigen Bajonett. Kriegsbeute, die der Vater irgendwo in Europa gemacht hat und später in der Zwischendecke des Hauses versteckte, als die Alliierten im Zuge des Zweiten Weltkriegs näher rückten. "Viel mehr ist nicht erhalten", sagt Tönnissen. Ein zerknitterter Wehrpass des Vaters Lambert und eben die Chronik der 18. Eisenbahnkompanie - eine bemerkenswerte Bildquelle. "Sie muss in den 1920ern entstanden sein, zu der Zeit als die Kameradschaft der Soldaten noch intakt war", sagt der Sohn. Am 25. November 1887 wird Lambert Tönnissen in Rindern, damals noch Teil des Bundesstaats Preußen, geboren. Im Alter von 20 Jahren bekommt er seinen Wehrpass, wird am 7. Oktober 1908 der 6. Kompanie des Eisenbahn-Regiments Nr. 3 zugeteilt. In preußischer Sorgfalt wird auf den vergilbten Seiten jede Station des Pioniers festgehalten, jede Versetzung oder Übung.

 Der Wehrpass von Lambert Tönnissen

Der Wehrpass von Lambert Tönnissen

Foto: Gottfried Evers

Am 1. August 1914 beginnt mit der Kriegserklärung des Deutschen Kaiserreichs an Russland die Mobilisierung, zwei Tage später wird auch Lambert Tönnissen eingezogen - er leistet Dienst bei der Eisenbahnbaukompanie 18. Am Sonntag vor 100 Jahren zog der Rinderner in den Ersten Weltkrieg. Knapp drei Wochen später befindet sich Tönnissen bereits im Kriegsgebiet Luxemburgs.

Seine Profession, der Eisenbahnbau, könnte dem zu Kriegsbeginn 26 Jahre alten Mann das Leben gerettet haben. Den Pionieren kam an der Front zwar eine extrem wichtige Aufgabe zu. Sie stellten den lebenswichtigen Nachschub über zerstörte Brücken und durch verschüttete Tunnel her. So aber blieb den meisten Soldaten der Kompanie der direkte Einsatz im Schützengraben erspart. Alleine aus Rindern hatten dutzende Soldaten weniger Glück. Sie ließen an der Front ihr Leben.

Am 13. September trifft die Kompanie bei Charleville-Mézières, der heutigen Hauptstadt des französischen Départements Ardennes, ein, um eine komplett zerstörte Brücke über die Maas zu ersetzen. Die Träger sind ins Wasser gekracht, einzig die Anschlussstücke der beiden Uferseiten stehen noch. Also fangen sie an, aus Schienen und Holzpfeilern eine komplett neue Brücke zu bauen. Der Fluss ist breit, die Arbeit mühsam. Nach zwölf Tagen steht die Brücke aber, auf ihr sichtlich stolze Pioniere. Die Feuertaufe ist überstanden, als eine mit Schutt beladene Lokomotive den Fluss überqueren kann.

Aber nicht nur die Arbeit der Soldaten zeigt die Chronik. Gerade das Leben zwischen den Einsätzen bietet die besten Motive. Mittagessen im Schnee an der Gulaschkanone, das Waschen der Füße am Fluss, weidende Büffel. Die knappen Kommentare geben Einblick in die Gedanken der Soldaten. Singende Kameraden werden mit dem Kommentar "Morgenständchen" versehen, ein Friseur verrichtet "Verschönerungsrat bei der Arbeit". In der Walachei hat man gar eine "Dorfschöne in Festtracht" erblickt.

Am 19. November 1918 dann der letzte Eintrag der Chronik. "Rückmarsch zur Heimat" titelt das Gruppenbild, in Belgien aufgenommen. Manche lächeln, die meisten aber blicken ernst drein. Unter ihnen befindet sich auch Lambert Tönnissen. Seine Rückkehr nach Rindern wird im Wehrpass für den 28. November vermerkt, es ist der letzte Eintrag. Hier wird Tönnissen Vater von sieben Kindern. Der älteste muss später selbst an die Front.

(lukra)
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