Kleve Chor mit archaischer Kraft und Gänsehaut-Moment

Kleve · In nur einer Stunde durchwanderte das Vokalensemble der Evangelischen Kirchengemeinde Kleve fünf musikalische Jahrhunderte - und riss sein Publikum zu Begeisterungsstürmen hin.

Unter dem Motto "Komm, heiliger Geist" sang der hochmotivierte Chor in der Versöhnungskirche alte und moderne Vokalwerke, die sich auf so unterschiedliche Weise mit dem Pfingstwunder auseinandersetzten, dass man nur staunen konnte.

Kantor Thomas Tesche spannte den musikalischen Bogen klug und durchdacht. Zwei Motetten des 16. Jahrhundert eröffneten das Konzert, eine fünfstimmige von Giovanni Croce und eine siebenstimmige von Thomas Tallis, die der Kammerchor sicher und in strahlend reinem a-cappella-Satz meisterte.

Anschließend verteilten sich die Sänger im Kirchenraum und formten einen Kreis um das Publikum. So schien die "Kleine Liturgie" von Gerhard Kaufmann (Jahrgang 1944) von überallher zu tönen, was gut zu den glockenartigen, obertonreichen Echoklängen des Werkes passte. Im Wechsel mit den Chorteilen rezitierte Solotenor Tobias Glagau gesprochene Passagen über das Pfingsterlebnis.

Harmonisch vertrackt ging es in der spätromantischen Motette "Emitte spiritum tuum" von Paul Leo Söhner zu, und auch Johannes Brahms' "Schaffe in mir, Gott, ein rein Herz" hatte es rhythmisch und intonatorisch in sich. Doch das Vokalensemble war den Herausforderungen gewachsen, und im fröhlich beschwingten Schlussteil der Brahms-Motette ("...und der freudige Geist erhalte mich") wirkte die besungene Freude regelrecht ansteckend. Schon das spektakuläre Schlagzeugaufgebot auf der Bühne machte neugierig auf die Pfingstmusik "Spiritui Sancto honor sit" des 1974 geborenen Pier Damiano Peretti. Sein packendes, siebenteiliges Mini-Drama beginnt düster und prähistorisch mit dem Urzustand der Welt, auf dem Höhepunkt besingt der Solotenor mit großer Dramatik das Pfingstwunder aus der Apostelgeschichte.

Hier entfaltete der Chor eine geradezu archaische Kraft. Gemeinsam mit dem siebenköpfigen Instrumentalensemble (Flöte, Oboe/Englischhorn, Trompete, Posaune, zwei Schlagzeuger und Orgel) und Tenor Glagau entstanden atemberaubende Klangwirkungen. In zwei Intermezzi ("Das Feuer, die Erde" und "Die Luft, das Wasser") kamen die wunderbar präzise musizierenden Instrumentalisten zur Geltung; es rauschte und wucherte, flackerte und brodelte. Unvermittelt endete das Stück mit einem bewegend schlichten "Amen. Halleluja" - ein Gänsehaut-Moment.

Nach dieser überwältigenden Darbietung sprang das Ensemble noch einmal in der Zeit zurück: In feierlicher Ruhe klang das Konzert mit Johann Walters Renaissance-Motette "Nun bitten wir den Heiligen Geist" aus.

(RP)
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