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Geldern Das erste Mal beim Poetry Slam

Geldern · Auf der Bühne: Lampenfieber. Ganz, ganz großes Lampenfieber. Gleichzeitig ist mir auf einmal ganz klar, welchen Text ich wirklich vortragen will. Falls ich meine Stimme wiederfinde.

 Unsere Autorin versucht sich am Poetry Slam.

Unsere Autorin versucht sich am Poetry Slam.

Foto: Thomas Binn (binn)

Nasse Hände, zitternde Stimme, wacklige Knie. Nervositätssymptome, die ich eher selten an mir selbst beobachte. Ich bin mir dessen, was ich tue, fast immer ziemlich sicher. Vor anderen zu sprechen, das hat mir noch nie etwas ausgemacht, und trotzdem ist es irgendwie ein bisschen anders. "Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass du auf einer Bühne stehst", sage ich mir selbst. Das stimmt zwar, beruhigt mich aber nicht sonderlich.

Der Abend des 20. November ist nämlich dennoch ein erstes Mal für mich. Ich bin Teilnehmerin bei einem Poetry Slam, den fünften Gelderner Stadtmeisterschaften. Den einzigen großen Auftritt hatte ich bei meiner Abiturfeier vor gut anderthalb Jahren, wo ich die Abschlussrede als Poetry Slam gehalten habe. Konkurrenz gab es damals wohl keine, das Rahmenprogramm war ein völlig anderes.

Das mit der Stimme macht mir am meisten Sorgen, weil ich weiß, dass es beim Poetry Slam gleichermaßen auf Text UND Vortrag ankommt. Ich sitze also in der ersten Reihe der Tonhalle und versuche, mich auf die Beiträge der anderen Kandidaten und Kandidatinnen zu konzentrieren. Das Los hat mir im Vorfeld eigentlich ziemliches Glück gebracht. Ich bin in der ersten Vorrunden-Gruppe gelandet und bereits als fünfte von insgesamt elf Slammern an der Reihe. Nicht ganz vorne, nicht als letzte - hätte schlechter laufen können.

Exakt vor mir allerdings trägt die Titelverteidigerin einen wahnsinnigen guten Text vor, erhält verdient die bisher beste Wertung des Abends. Vor Beginn des Dichter-Wettstreits hatte Moderator Marian Heuser Punktetafeln an sieben willkürlich ausgewählte Zuschauer verteilt, die in Absprache mit linken und rechten Nachbarn nach jedem Vortrag eine zwar subjektive, aber vielleicht gerade deswegen repräsentative Wertung abgaben. Außerdem werden eben dieser Subjektivität wegen jeweils die höchste und die niedrigste Wertung herausgestrichen.

Daran denke ich in diesem Moment überhaupt nicht. Es ist der Moment, als mein Name aufgerufen wird und ich eine sehr spontane Entscheidung treffe. Wer mich kennt, der weiß, dass ich Entscheidungen prinzipiell aus mindestens 17 Perspektiven betrachte, diskutiere, Plan A bis Z beleuchte, um mich schließlich für ein konkretes "Ach, ich weiß auch nicht" zu entscheiden - oder halt eben doch nicht.

Aber nicht jetzt. Jetzt ist einer der Momente, in denen ich mir ganz sicher bin. Ich entscheide mich ganz spontan, einen anderen Text vorzutragen, als ursprünglich geplant. Diesen Text, "Regen an meinem Fenster", wollte ich eigentlich in einem möglichen Finale rezitieren. In diesen Zeilen habe ich meine Gedanken zu den Terroranschlägen in Paris, zum Terror in dieser Welt zum Ausdruck gebracht. Kein politischer oder kritischer Text, das ist mir wichtig zu betonen. Es sind meine Assoziationen, meine Ängste, meine Emotionen, die dieser Text erzählt. Plötzlich habe ich das dringende Bedürfnis, genau diese Worte mit dem Publikum zu teilen. Ich will und ich kann sie nicht für mich behalten.

Dafür habe ich ein Zeitfenster von guten fünf Minuten. Ich habe ein Mikrofon, die Zeilen auf meinem Zettel und Gott sei Dank habe ich auch meine Stimme wieder. Das war's dann auch schon an Hilfsmitteln, die beim Poetry Slam erlaubt sind. Vielleicht ist es das, was mich an dieser Form der Kunst von Anfang an fasziniert hat, was sie mir und so vielen Anhängern so zugänglich macht. Sie ist rein, direkt, unverschleiert. Da sind nur Worte, Gedanken. Nur jemand, der sie aufschreibt und ausspricht, und jemand, der sie versteht - von Angesicht zu Angesicht (Naja, genau genommen war der Scheinwerfer so grell, dass man gar nichts sehen konnte, aber vom Prinzip her stimmt das schon).

Aus heutiger Sicht fühlen sich die Minuten auf der Bühne eher wie Sekunden an, und außer, dass mir in meinem Leben selten so warm gewesen ist (danke nochmal ans Scheinwerferlicht), kann ich gar nicht mehr viel dazu sagen - Kurzzeitamnesie. Ich habe eine Wertung von 63 Punkten bekommen und bin damit ins Finale eingezogen. Akardiusz, der Gewinner der zweiten Vorrunde, und ich, wir beide dürfen einen zweiten Text auf die Bühne bringen. Ich bin viel entspannter und genieße, getreu der Message meines Textes, einfach den Moment. In "200 Happy Days" geht es nämlich schlicht und einfach ums Glücklichsein im Hier und Jetzt. Akardiusz gewinnt mit einer völlig anderen Art der Poesie mit einem Punkt Vorsprung, und ich gräme mich kein bisschen. Das alles hier war so viel mehr, als ich jemals erwartet hätte.

Und trotzdem ist es nicht oder nicht nur der Erfolg des zweiten Platzes, den ich am Ende mit nach Hause nehme. Dass Worte meine Sprache sind, habe ich schon immer gewusst. Der Poetry Slam schafft mir dazu eine Bühne, auf der ich schon immer stehen wollte. Ich kann beim besten Willen nicht gut tanzen, auch eine große Gesangskarriere verspreche ich mir nicht, obwohl mich besondere Liedtexte oft inspirieren. Ich kann schreiben. Diese (neu)entdeckte Leidenschaft für Poesie hat mich in 2015 sehr bereichert, und die möchte ich in 2016 auf jeden Fall weiterverfolgen.

(RP)
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