Kleve Der Grenzfall HausWylerberg

Kleve · Das Buch zu einem spannenden Stück Geschichte und zu einem herausragenden Stück Architektur.

 Trutzig und doch elegant, fremd und doch vertraut erhebt sich Wylerberg über die Ebene in Richtung Nimwegen. Ein Foto aus dem Jahr 1955.

Trutzig und doch elegant, fremd und doch vertraut erhebt sich Wylerberg über die Ebene in Richtung Nimwegen. Ein Foto aus dem Jahr 1955.

Foto: Buch

Der deutsche Soziologe und Philosoph Theodor W. Adorno ("Dialektik der Aufklärung") schrieb den Klappentext zu der Plattenaufnahme, die 1960 im Musiksaal von Haus Wylerberg entstand. Der Komponist Schönberg gehörte ebenso zum Freundeskreis der Familie dieses Hauses auf der Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden wie der expressionistische Lyriker Gottfried Benn, mit dem sich ein reger Briefwechsel entspann. Joseph Beuys schaute vorbei, doch die Gesellschaft fand keinen Gefallen an den Mann mit Hut.

Anekdoten und Geschichten, Fotos reihen sich in der Familiengeschichte der Erbauer des Hauses Wylerberg in dem schmalen Bändchen "Haus Wylerberg - ein Grenzfall", das jetzt zu einem alle Grenzen überschreitenden, von der Euregio geförderten Projekt über dieses Haus auf der Grenze erschienen ist und das alle Aspekte rund um Wylerberg kurz beleuchtet. Interessant die komplizierten Grenzverlegungen rund um die deutsche Avantgarde-Villa, die heute in den Niederlanden liegt.

Der berühmte Musiksaal der Villa zeigt sich auf den alten Fotos wohnlich - schmale hohe Fenster mit warmen roten Rahmen, davor der tiefschwarze, glänzende Flügel, im Vordergrund die klassisch-moderne Corbusier-Liege und dahinter ein dicker lederner Ohrensessel. Wie kunstvoll die Decke des Saales gefaltet war - wohl auch wegen der Akustik - zeigen andere Fotos. Zu dieser Zeit lebte dort Alice Schuster, die Tochter von Marie Schuster, mit ihrer Lebensgefährtin Else "C-chen" Kraus, einer Pianistin. Alice war Sängerin, Else Kraus eine elegante Frau mit feuerroten Haaren und ebenso roten Fingernägeln, wie im Buch Peter Werth zitiert wird, den Jeroen van Zuylen interviewt hat. Van Zuylen zeichnet auch als Herausgeber des reich bebilderten und lesenswerten Büchleins. Alice und C-chen lebten nach dem Tod von Marie Schuster bis 1966 in Wylerberg und zogen dann an den Lago Maggiore. Begraben sind sie in Kleve im Familiengrab Schuster-Hiby. Die beiden Damen lebten 68 Jahre zusammen, erzählt das Buch.

Marie Schuster lernte den Architekten des Hauses, Otto Bartning, 1920 in Berlin kennen, erzählte ihm begeistert von ihren Plänen, ein Landhaus im deutsch-niederländischen Grenzgebiet "mit weitem Blick in die Ebene" zu bauen. Bartning knetete ein Modell, Marie Schuster war begeistert. "Von da an haben wir vier Jahre geplant und dann gebaut", erinnert sich Bartning später. Es entstand jenes Haus das trutzig und doch elegant, fremd und doch so vertraut auf der Höhe über Ubbergen liegt und weit ins Tal schaut. Tief eingeschnitten die Fenster in den dicken Wänden, mit schrägen massigen Mauern und spitzen Ecken wie eine Burg, die allen Stürmen trotzt, und tief gezogenem, heimeligen Dach. Wylerberg gilt als herausragendes Beispiel expressionistischer Architektur, dessen Kristallform der Kunsthistoriker Pieter-Matthijs Gijsbers sehr schön beschreibt. Doch Wylerberg hat auch eine gewisse Affinität zu den Bauten des Anthroposophen Rudolf Steiners - auch wenn Gijsbers das vehement von der Hand weist.

Marie Schuster hatte nicht nur ein Faible für gute Musik, sondern sie liebte auch die Kunst. Ihre Sammlung expressionistischer Bilder ist verschollen - sie wurden am Kriegsende geraubt. Der Zeichner und Maler Martin Lersch hat sie rekonstruiert. Auch sie sind im Buch zu sehen. Inzwischen ist wieder regelmäßig Musik in Wylerberg, die Grünen Konzerte beschreibt Christa Kneppeck.

Haus Wylerberg, ein Grenzfall, deutsch-niederländisch, gesehen in der Buchhandlung Hintzen, ISBN 978-90-72121-30-1, 9,95 Euro.

(RP)
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