Kleve Die Hütte des Philosophen

Kleve · Die Sommerausstellung im Klever Museum Kurhaus zeigt verschiedene interessante Positionen der Gegenwartskunst. Die RP stellte einige Positionen vor: Heute Peter Friedl, dessen Arbeiten bald auf der Documenta zu sehen sind.

 Der österreichische Künstler Peter Friedl hat die Häuer als Modelle gebaut, rekonstruiert oder nach alten Plänen erstmals aufgerichtet. In der Klever Ausstellung "Inside Intensity" sind es schon zehn Stück.

Der österreichische Künstler Peter Friedl hat die Häuer als Modelle gebaut, rekonstruiert oder nach alten Plänen erstmals aufgerichtet. In der Klever Ausstellung "Inside Intensity" sind es schon zehn Stück.

Foto: Markus van Offern

Bevor sie nach Kleve kamen, standen sie auf der Biennale in Taipeh auf Taiwan: Sechs Häuser aus dem kollektiven Gedächtnis. Sechs Häuser, die anregen sollen, das Verhältnis zwischen historischen Fakten, politischer Ideologie und der persönliche Identität des Bewohners zu überdenken, sagt Peter Friedl. Friedl, österreichischer Künstler Jahrgang 1961, hat die Häuer als Modelle gebaut, rekonstruiert oder nach alten Plänen erstmals aufgerichtet. In der Klever Ausstellung "Inside Intensity" sind es schon zehn Häuser. Titel: "Rehousing", frei nach den Wohnbau-Programmen in den USA.

Schöne Modelle, die nicht nur als architektur-ästhetische Betrachtung faszinieren, als wunderbar stille, beeindruckende Installation. Da ist noch mehr, vor allem, wenn die Neugier geweckt ist, man sich auf die Suche begibt, tun sich Welten auf - zwischen historischen Fakten, politischer Ideologie und der persönlichen Identität.

Da ist beispielsweise Heideggers Hütte im Schwarzwald, in die sich der Philosoph regelmäßig zurückzog. In den mit Schindeln verkleideten Wänden sitzen blau umrandete Sprossenfenster mit hellgrünen Holzläden, eine grüne Tür, die man über drei einfache Holzstufen erreicht, ein Walmdach, das nach hinten tiefgezogen wurde. Irgendwie heimelig, die Hütte. In ihr entstand "Sein und Zeit", jene Abhandlung über die "Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt"(so Heidegger).

Bei Todtnauberg steht die Hütte im Hang und schaut ins Tal. Sie kann nichts dafür, dass Heidegger von 1933 bis 1934 Rektor der Freiburger Uni war, eine Zeit, die von seinem zwiespältigen und ungeklärten Verhältnis zum Nationalsozialismus geprägt war. Sie kann nichts dafür, dass in ihr Heidegger, ganz im Sinne der NS-Blut-und-Boden-Ideologie von der "Bodenständigkeit" seines Denkens und von ihr, von seiner Hütte im Schwarzwald schreibt. Und doch ist der heimelige Hüttenbau sofort mit diesen Themen belegt.

Später, 1967, besucht der Lyriker Paul Celan den Philosophen, trägt sich hoffend auf eine Auseinandersetzung mit der Dritte-Reich-Vergangenheit Heideggers ins Hüttenbuch ein - und wird letztlich enttäuscht. Ein Jahr zuvor war Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein bei Heidegger auf der Hütte und führte zusammen mit Spiegel-Kulturredakteur Georg Wolff ein Interview mit dem zurückgezogen lebenden Denker. Das Interview wurde erst zehn Jahre später, wenige Tage nach Heideggers Tod, veröffentlicht. Die Hütte steht mit der Rückseite in den Hang. Friedl hat sie hingegen freigestellt, wie die anderen Häuser auf einen Tisch mit schmalen, langen Beinchen gesetzt, herausgelöst aus ihrem Zusammenhang, in den man sie erst wieder bringen muss, setzt man sich mit ihr auseinander. Die Rückseite, die im Hang steht, hat er nach Gusto rekonstruiert. So, wie es sein könnte.

Auf einem anderen Tischchen steht eine Sklavenhütte aus Louisiana, die als Kulisse für Quentin Tarantinos "Django Unchained" diente. Sie gehört zur 250 Jahre alten Evergreen-Plantage und verweist auf die Umstände, in der Sklaven vegetieren mussten. Geradezu klassisch modern mutet die kleine Villa von Luigi Piccinato an, die zur Zeit des italienischen Faschismus für die ostafrikanischen Kolonien gedacht war und die in der Fachzeitung "Domus" gefeiert wurde. Sie wurde nie gebaut, entstand erst für Friedels Tisch. Und dann ist da noch Drop-City, die Kuppelbauten des "Dome" die an die Zeiten der "Raumpatrouille Orion" erinnert und zur Hippie-Enklave in Colorado gehörte. So reiht sich Geschichte an Geschichte in diesem Saal im Museum Kurhaus. "Sofern es sich um existierende Häuser handelt - Villa Tropicale war ein Prototyp, der nicht gebaut wurde -, habe ich sie immer real erlebt, gesehen, besucht", sagt Friedl.

Am kommenden Wochenende, 10. Juni, wird die Documenta 14 in Kassel und Athen eröffnet, dort ist Friedl mit einer Videoarbeit über Kafkas Bericht an eine Akademie vertreten. Deshalb in Kleve die zerbrechlichen Modelle auf den zarten Tischchen. Doch die für das Kurhaus vorgesehenen Häuser standen in Taipeh, die vier neueren in Turin bei einem Sammler. "Wir haben die Arbeit dann im letzten Moment zusammenführen können", sagt Museumsdirektor Harald Kunde. Die sechs Häuser aus Taipeh gingen nach Turin, dort wurden dann die zehn für Kleve abgeholt.

(mgr)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort