Interview Dr. Frank Marx "Erste Hilfe ist eigentlich kinderleicht"

Kleve · Zum Start der neuen RP-Serie "Erste Hilfe hilft!" erklärt Dr. Frank Marx, ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes der Berufsfeuerwehr Duisburg, warum Erste-Hilfe-Maßnahmen so wichtig sind und wie wir alle Menschenleben retten können.

 Dr. Frank Marx vor dem Rettungstransporthubschrauber "Christoph 9". Von der berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in Buchholz startet er zu rund 1300 Einsätzen pro Jahr.

Dr. Frank Marx vor dem Rettungstransporthubschrauber "Christoph 9". Von der berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in Buchholz startet er zu rund 1300 Einsätzen pro Jahr.

Foto: Christoph Reichwein

"Erste Hilfe hilft!" - unter diesem Motto startet die Rheinische Post in Zusammenarbeit mit Dr. Frank Marx, dem ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes der Berufsfeuerwehr Duisburg, und den Maltesern eine Aktion, bei der wir vorstellen, was der Laie im Notfall tun kann. Dr. Marx erklärt zum Start der Serie, warum das Helfen so überlebenswichtig sein kann:

Herr Dr. Marx, warum ist Erste Hilfe so wertvoll?

Marx Als Notarzt bin ich auf die Hilfe von Laien angewiesen. Überleben ist nicht selten ein Wettlauf gegen die Zeit. Dabei ist Erste Hilfe kinderleicht: Allein durch die richtige Lagerung und Betreuung eines Patienten, durch das Anlegen eines Verbandes oder durch die Herzmassage kann Leben gerettet werden. Es dauert in der Regel bis zu zehn Minuten, bis in Duisburg nach einem Notfall der Patient vom Notarzt betreut wird.

Wen wollen Sie mit dieser Aktion erreichen?

Marx Wir wollen jeden Menschen in Duisburg erreichen, Kinder, Erwachsene und alte Menschen - jeder muss Erste Hilfe leisten können. Am Beispiel der Wiederbelebung müssen wir feststellen, dass nur in 17 Prozent aller Fälle geholfen wird. Wenn der Notarzt dann beim Patienten eintrifft, ist wertvolle Zeit vergangen und das Gehirn des Patienten hat bereits Schaden genommen. Ist ein Ersthelfer in dieser Zeit aktiv geworden, gelingt doppelt so häufig die Rettung.

Warum fällt es Zeugen und Unbeteiligten oft so schwer, zu helfen?

Marx Ein wichtiger Grund ist hier sicherlich die Sorge, man könnte etwas falsch machen. Hinzu kommt, dass man sich zutrauen muss, einen Notfall als solchen zu erkennen. Gleichgültigkeit als Beweggrund dafür, nicht aktiv zu werden, ist sehr selten. Das haben nicht zuletzt meine Erfahrungen angesichts des Loveparade-Unglücks gezeigt. Hier halfen unzählige Laienhelfer.

Wo fängt Erste Hilfe an, wo hört sie auf?

Marx Ein Ersthelfer braucht nur seine Hände und sein Engagement, um im Notfall das Richtige zu tun. Zwar werden im Rahmen eines Erste-Hilfe-Kurses auch der Umgang mit dem Verbandskasten oder die Anwendung eines automatischen Defibrillators erklärt, auf gar keinen Fall soll aber der Laie hier zum Arzt ausgebildet werden. Es geht vielmehr darum, sich sinnvoll um Notfallpatienten zu kümmern, bis fachkundige Betreuer eintreffen. Da Erste-Hilfe-Kurse sogar in Grundschulen veranstaltet werden, kann man sagen: Erste Hilfe ist kinderleicht.

Wie oft werden Sie gerufen, ohne dass es nötig ist?

Marx Nur in jedem fünften Fall ist der Patient wirklich lebensbedrohlich erkrankt. Oft können wir aber dennoch wertvolle Hilfe leisten, zum Beispiel eine Blutung stillen oder einen Knochenbruch schienen. Die Bekämpfung des Schmerzes ist für mich als Anästhesisten eine vordringliche Aufgabe. Gelegentlich werden wir auch zu Patienten gerufen, die ohne Weiteres ohne uns zu einem Arzt oder ins Krankenhaus gelangen könnten. Im Vergleich zu den wirklich wichtigen Notfällen spielt diese Gruppe aber eine untergeordnete Rolle. Vielfach wird die 112 gerufen, weil die Menschen einfach Angst haben und nicht einschätzen können, wie schlimm die Situation ist. Das ist völlig in Ordnung. Menschen in Not sollten nicht zögern, Hilfe anzufordern, weil sie denken, ihr Notfall sei nicht Notfall genug. Ein grober Missbrauch des Rettungsdienstes ist es allerdings, wenn wir zu einem Betrunkenen gerufen werden, der noch auf eigenen Beinen stehen kann. Er sollte sich doch vorher überlegen, ob er nicht lieber ein Taxi nimmt - solche Fälle gibt es auch.

Werden Sie oft zu spät gerufen?

Marx Bei schweren Unfällen erleben wir es nicht selten, dass Blutungen nicht gestoppt oder der Kopf eines Patienten nicht überstreckt wurde, sodass er zu ersticken droht. Das macht mich oft traurig, denn hier wurde wertvolle Zeit verschenkt. Leider gelingt es uns auch nur in etwa 45 Prozent aller Herzstillstand-Fälle, das Herz wieder zum Schlagen zu bringen. Wenn zu viel Zeit bis zum Beginn der Herzmassage verstrichen ist, kann der Patient schwere Gehirnschäden erleiden. Hier kann Erste Hilfe durch Laien wertvolle Arbeit leisten.

Wie sollte der organisatorische Ablauf nach einem Unfall idealerweise sein?

Marx Ersthelfer lernen in den Kursen, dass der Eigenschutz oberste Priorität hat. Ein verletzter Helfer kann keine Erste Hilfe leisten. Deshalb müssen zum Beispiel Unfallstellen an Straßen erst mit dem Warndreieck gesichert werden, bevor man zum Patienten geht. Ein Beispiel: Bei einem Hausunfall mit elektrischen Geräten muss zuallererst der Strom abgestellt werden, bevor man an den Patienten herantritt. Dann sollte in jedem Fall der Rettungsdienst gerufen werden. Je früher dies geschieht, desto besser. Den Notruf 112 haben wir ja inzwischen europaweit. Selbst in Ländern, in denen eine andere Rufnummer gilt, kommt man mit der 112 ebenfalls zur jeweiligen Leitstelle für den Rettungsdienst beziehungsweise für die Feuerwehr. Erst wenn die Unfallstelle abgesichert ist und der Notruf veranlasst wurde, wird der Patient versorgt.

Muss es immer der Notarzt sein? Rettungssanitäter sind doch auch ausgebildete Fachkräfte.

Marx Wir haben einen Stichwortkatalog für Notfälle. Der Disponent in der Leitstelle kann so unterscheiden, ob ein Rettungswagen ausreicht oder ein Arzt geschickt wird. Beispielsweise wird er immer, wenn er einen Herzinfarkt vermutet, einen Notarzt schicken; bei einem Asthma-Patienten, der noch ruhig atmet, kommen Rettungsassistenten. Auch beim Beinbruch ist der Assistent qualifiziert genug, den Patienten allein zu versorgen.

GABI HARPERS FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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