Niederrhein Forensik-Patienten früher entlassen

Niederrhein · Die ambulante Nachsorge von entlassenen Straftätern aus dem Maßregelvollzug läuft jetzt NRW-weit flächendeckend. Tagung in der LVR-Klinik Bedburg-Hau zur "Resozialisierung psychisch kranker Straftäter" mit Kliniken und Gerichten.

 Auch in der Freiheit hinter Gitter und Zaun sollen die Forensik-Patienten betreut werden.

Auch in der Freiheit hinter Gitter und Zaun sollen die Forensik-Patienten betreut werden.

Foto: Klaus Stade

Seit es dem Landschaftsverband Rheinland (LVR) endlich gelungen ist, eine flächendeckende ambulante Nachsorge für Straftäter aufzubauen, die als psychisch Kranke oder Drogenabhängige in den Maßregelvollzug der LVR-Kliniken mussten, steigen die Entlasszahlen. Von den rund 1500 Patienten, die der Landschaftsverband an sechs Standorten im Rheinland versorgt, leben inzwischen 240 außerstationär in Heimen, in betreuten Einrichtungen oder in der eigenen Wohnung, erklärte Klaus Lüder vom LVR-Fachbereich Maßregelvollzug. Dabei liegt die Rückfallquote der Entlassenen oder im "Dauerurlaub" weilenden ehemaligen Straftäter mit 3,1 Prozent deutlich unter denen aus dem normalen Vollzug (40 Prozent). Von den Patienten, die als Dauerurlauber immer noch unter der Kontrolle der Kliniken stehen, muss nur ein Prozent der Kandidaten zurück in die Klinik, weil eine Krise droht, sagt Dr. Rudolf Schlabbers von der Forensik LVR-Klinik Bedburg-Hau.

Die "Resozialisierung psychisch kranker Straftäter in Gesellschaft und Gemeinden" aus dem Maßregelvollzug stand im Mittelpunkt einer Tagung mit 200 Fachleuten in der LVR-Klinik Bedburg-Hau mit Vertretern aus der Justiz, darunter des Landgerichtes Kleve und des Oberlandesgerichtes Düsseldorf, der LVR-Kliniken und der Gemeindepsychiatrie. Sie diskutierten, wie man die Patienten in den Kommunen - wie hier die Kreise Kleve und Wesel - sicher nach der Maßregel außerhalb des Vollzugs unterbringt.

Wie wichtig die frühe ambulante Betreuung der entlassenen Straftäter ist, zeigt eine Untersuchung von Forensik-Gutachter Norbert Leygraf: Die meisten Patienten werden, wenn, dann in den ersten 15 Monaten nach der Entlassung rückfällig, sagt Schlabbers. Die Patienten, die aus dem Maßregelvollzug entlassen werden oder Dauerurlaub haben, werden deshalb weiter beaufsichtigt, sagt Dr. Jack Kreutz, Chef der forensischen Kliniken in Bedburg-Hau. Es gibt eine "aufsuchende Hilfe" und "klare Ansprechpartner" im Umfeld und beim Arbeitgeber. "Wir bauen ein Netz mit der Gemeindepsychiatrie auf, das uns auch vorwarnt, wenn eine Krise droht", so der Psychiater. Das bringe auch den Entlassenen mehr Sicherheit.

In der Regel wird die Maßregel für die Patienten, die entlassen oder in den Dauerurlaub kommen, ein Jahr vor der Entlassung gelockert. Dann folgt eine bedingte Entlassung mit Weisungen. So muss beispielsweise ein Wohnortwechsel angezeigt werden, es muss sicher gestellt sein, dass die Medikamente kontrolliert werden. Alle vier Wochen stehen Helferrunden an. "Wir sind fahrendes Volk", sagt Schlabbers, dessen Team die Patienten auch mobil betreut. Dank dieser ambulante Nachsorge und des Patientenmanagements, das die Menschen für das normale Leben vorbereiten soll, sank die Verweildauer auf den Stationen des Maßregelvollzugs von 8,5 Jahren im Jahr 2012 auf 7,6 Jahre im Jahr 2014, sagt Lüders. Das liegt aber auch daran, räumten Schlabbers und Dr. Alexander Pantelatos von der Forensik LVR-Klinik Bedburg-Hau, ein, dass die Gerichte seit der Diskussion um Gustl Mollath häufiger die Entlassung aus Verhältnismäßigkeitsgründen anordnen, wenn in ihren Augen die Dauer der forensischen Unterbringung nicht mehr im Verhältnis zur Schwere der Straftat steht. Vor wenigen Jahren noch seien die Gerichte da eher auf der Seite der Kliniken gewesen, wenn diese Bedenken hatten, sagt Schlabbers offen.

"Wir müssen jetzt klären, dass wir nicht ein Schwarze-Peter-Spiel beginnen, und uns gegenseitig die Verantwortung zuschieben", sagt Dr. Friedhelm Schmidt-Quernheim von der LVR-Klinik Düren für die Behörde des NRW-Landesbeauftragten für den Maßregelvollzug. Es gelte, die Patienten auch bei solchen dann vergleichsweise kurzfristigen Entlassungen entsprechend vorzubereiten und einzustellen.

Möglich wurde die flächendeckende Versorgung im LVR-Bereich, weil das Land die Kosten für die Patienten deutlich anhob. Erst damit rechnete sich für die sozialpsychiatrischen Vereine die Betreuung. Josef Berg vom Kreis Klever Verein Papillon, der Patienten betreut, mahnt diese ambulante Nachbetreuung auch für Menschen aus der Allgemein-Psychiatrie an.

(RP)
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