Kleverland Friedensweihnacht für 20 Pfennige

Kleverland · 1945: Vor 70 Jahren wurde das erste Fest des Friedens nach Krieg und Zerstörung gefeiert. Militärregierung brachte Zeitung in einer Auflage von 550.000 Exemplaren heraus. Zeitzeuge Theodor Brauer (heute 90 Jahre alt) erinnert sich.

 Blick über die zerstörte Schwanenburg im Herzen Kleves mit einem großen Überschwemmungsgebiet im Nordosten.

Blick über die zerstörte Schwanenburg im Herzen Kleves mit einem großen Überschwemmungsgebiet im Nordosten.

Foto: Klaus-Dieter Stade

Weihnachten 1945: Das erste Fest des Friedens nach dem millionenfachen Sterben im Zweiten Weltkrieg. Vor 70 Jahren die allererste Gelegenheit für die heimgekehrten Überlebenden, in den Wirren der Nachkriegszeit innezuhalten und durchzuatmen. Chaos, Hunger und Elend regierten. Zugleich aber glimmten auch erste Hoffnungsschimmer. Der Beginn eines neuen Lebens wurde eingeläutet. Dokumente und Zeitzeugen vermitteln nach Jahrzehnten des Friedens ein Bild, wie's wirklich war, damals, Weihnachten 1945.

 Der 90-jährige Zeitzeuge und Heimatkenner Theodor Brauer in seinem Arbeitszimmer.

Der 90-jährige Zeitzeuge und Heimatkenner Theodor Brauer in seinem Arbeitszimmer.

Foto: Klaus-Dieter Stade

Friedensweihnacht: 20 Pfennige teuer war die Ausgabe der Zeitung, in der am 22. Dezember 1945 Brigadier J.A. Barraclough, Kommandant der Militärregierung Nord-Rheinprovinz, seine Weihnachts-Botschaft in einer Auflage von 550.000 Exemplaren an die notleidende Bevölkerung des Niederrheins übermittelte. "In dieser Zeit der Erinnerung und Hoffnung laßt uns in guter Hoffnung jede Anstrengung machen, um eine glücklichere Zukunft zu erreichen. Laßt uns nicht nur alle zusammen für Frieden auf Erden und für alle Menschen, die guten Willens sind, beten, sondern laßt uns auch unser Leben jetzt und in den kommenden Jahren so gestalten, daß wir diese Ideale zur Erfüllung bringen werden". Der Militär-Chef drückte in wenigen Worten aus, was die Menschen nach dem Leben in Angst und Schrecken fühlten. Aber auch an anderen Stellen des jetzt 60 Jahre alten Zeitdokuments finden sich Belege für den Zeitgeist: So wird im Aufmacher mit der Überschrift "Die Notwendigkeit des Kirchenneubaus" die Geschichte der evangelischen Gemeinde Kleve geschildert, die just mit Pastor Dr. Erich Krüger einen neuen Pfarrer erhalten hatte. Und die Kleinanzeigen sprechen Bände, ob in den Familienanzeigen, im Wohnungsmarkt oder in den kirchlichen Nachrichten. Beispiele: Klein-Doris stirbt kurz vor dem Fest der Liebe im Alter von nur vier Jahren, Vater ist noch in Kriegsgefangenschaft. Ein altes Ehepaar sucht nach Kopfkissen. Und eine Gocherin von der Voßstraße sucht für ihre Bar und Weinstube ein junges Fräulein aus der Branche: "Blond bevorzugt!" Das Leben hatte wieder begonnen.

Auch in Kleve, wie sich der Pfingsten 1945 aus dem Krieg unversehrt nach Hause gekommene Theodor Brauer, der als Soldat in einer Nachschubeinheit gedient hatte, erinnert. Der heute 90 Jahre alte Heimatkenner, der 2001 mit dem Bundesverdienstkreuz und 2004 mit dem Rheinlandtaler geehrt wurde, wohnte mit Mutter Agnes und der damals 17 Jahre alten Schwester Marianne in einer zerstörten, notdürftig mit Glaspapier vor den Fensterlöchern ausgestatteten Wohnung auf der Römerstraße. Geheizt wurde mit einem Kanonenofen, für Licht sorgten "furchtbar qualmende Öllampen", erzählt Brauer. Er erinnert sich noch gut, den Weihnachts-Gottesdienst in der überfüllten Notkirche im Jugendheim an der Brabanter Straße gefeiert zu haben. Für festliche Stimmung sorgten die von den Großeltern in Haan gebackenen Plätzchen und ein Care-Paket, das Verwandte aus Amerika geschickt hatten "mit für jene Zeit wirklichen Delikatessen". Zudem hatte die spätere Landwirtschaftsmeisterin Marianne Brauer, die beim Bauernhof Derksen auf Salmorth arbeitete und heute in Jülich wohnt, "fette Milch, Speck und Wurst mit nach Hause gebracht, so dass wir für damalige Verhältnisse wirklich von einer Festtafel speisen konnten. Eine wunderbare Sache", freut sich der spätere Bezirksschornsteinfegermeister, der sich auch mit dem Aufbau eines inzwischen 4000 Exemplare großen niederrheinischen Festschriftenarchivs einen Namen gemacht hat. An ein vorweihnachtliches Geschenk kann er sich bestens erinnern: "Ein Fahrrad mit Vollgummireifen, mit dem ich als Schornsteinfegergeselle von Ort zu Ort über die zerstörten Straßen fahren konnte". Was ihn auch 70 Jahre später noch beeindruckt, war der Zusammenhalt der Überlebenden in jener Zeit: "Jeder half jedem, alles wurde geteilt".

Und dann gibt es da noch ein Zeitdokument ohne jegliche Distanz trotz der vergangenen sieben Jahrzehnte. Ein abgewetztes Tagebuch im Taschenformat, das dem 2001 verstorbenen langjährigen Klever RP-Redaktionsleiter Alois Puyn gehörte. Detailliert hat der kurz vor Kriegsende als 16-jähriger Flakhelfer im "Ruhrkessel" gefangen genommene Kalkarer in amerikanischen und französischen Lagern Tag für Tag fein säuberlich Buch geführt. Heiligabend 1945 im Lager Annecy in den Alpen: "Es will keine Stimmung aufkommen, obwohl wir ein Christbäumchen haben. Verpflegung: Brot, Sülze, ein Zwölftes Christstollen, eineindrittel Apfel, nachts um 12 Uhr Christmette. Die Zählung fällt aus. Seltsame Weihnachten. Mittags kommen Kinder gefallener französischer Soldaten zur Bescherung ins Lager".

Friede auf Erden.

(RP)
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