Kleve Glorreiche Zeit der "Elektrischen"

Kleve · Am 1. August 1912 fuhr erstmals die Straßenbahn die neue Strecke vom Bahnhof Kleve bis zur früheren Reichsgrenze mitten in der Ortschaft Beek. Kann man sich 100 Jahre nach diesem historischen Ereignis überhaupt noch vorstellen, was dieser Fortschritt den Vorfahren nicht nur beiderseits der neuen Linie bedeutete?

Am 1. August 1912 fuhr erstmals die Straßenbahn die neue Strecke vom Bahnhof Kleve bis zur früheren Reichsgrenze mitten in der Ortschaft Beek. Kann man sich 100 Jahre nach diesem historischen Ereignis überhaupt noch vorstellen, was dieser Fortschritt den Vorfahren nicht nur beiderseits der neuen Linie bedeutete?

Vielleicht muss man als mobiler gewordener und an größere Aktionsradien gewöhnter Mensch im 21. Jahrhundert dafür auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, die man selber bei jüngeren verkehrsmäßigen Strukturverbesserungen im heutigen Kreis Kleve gemacht hat. Erinnert sei an die Freigabe der Rheinbrücken in Emmerich (1965) und Rees (1966), an die A-57-Anbindung (1986), an den Wegfall der Grenzen (1993) oder an die Fertigstellung des Zivilflughafens Weeze (2003).

Für die damalige Bevölkerung brachte die Straßenbahn eine erhebliche Verbesserung an Lebensqualität. Zwar verband seit dem 8. August 1865 die Eisenbahn Kleve mit Nimwegen, aber von ihren Zwischenbahnhöfen in Donsbrüggen, Nütterden, Kranenburg und Groesbeek aus konnten wohl nur die Menschen im näheren Umfeld ihren Arbeitsplatz in den Städten leichter erreichen. Wer längere Wege zu den Bahnstationen hatte, nutzte den Zug vielleicht für Ferienreisen, jedoch war das vermutlich nur wenigen Begüterten vergönnt.

Kinderreiche Familien durften von einem derartigen Vergnügen nur träumen. Die "Elektrische" — so der Volksmund — wurde zum Nahverkehrsmittel für Jedermann. Die vielen Haltestellen zwischen den Ortskernen waren schneller erreichbar, der Zeitaufwand wurde geringer. Vom Klever Bahnhof aus zwängte sich das Schienenfahrzeug zunächst durch die Große und die Kavarinerstraße. Zur vollen Stunde fuhren die Wagen an beiden Endpunkten ab und kreuzten sich am Frasselter Weg. Von dort aus kostete eine Rückfahrkarte 1 RM.

Als Busse ab dem 25. Januar 1962 die Straßenbahn ablösten, übernahmen sie weitgehend deren Haltestellen. Der zunehmende Autoverkehr benötigte das Gleisbett für breitere Straßen. Das Ende der "Elektrischen" wurde gelassen hingenommen, ganz im Gegensatz zu der Volksfeststimmung in Beek bei der Eröffnung fast 50 Jahre vorher. Ein Kuriosum: Fahrgäste nach Nimwegen mussten dort in die holländische Tram umsteigen. Aus militärstrategischen Gründen hatten die Straßenbahnen unterschiedliche Spurbreiten. Nicht so die Eisenbahn, die noch vor Gründung des zweiten Kaiserreiches ihren Betrieb aufgenommen hatte.

Im Krieg gelangten die letzten Straßenbahnen am Luftlandesonntag 17. September 1944 bis Beek. Erst im Herbst 1947 konnten sie wieder anrollen. Die dicht gewordene Grenze machte die Strecke Wyler-Beek zur unrentablen Sackstraße. Durch die Grenzverschiebung 1949 wurde die Haltestelle Poen im Ortskern Wyler Endstation. Auch das ist heute Geschichte.

(RP/ac)
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