Burkhard Landers "Kein Jugendlicher darf zurückbleiben"

Kleve · Der IHK-Präsident Burkhard Landers macht im RP-Gespräch deutlich, dass die Firmen am Niederrhein in Zeiten des demografischen Wandels dringend etwas tun müssen, um Schulabgänger für eine duale Ausbildung zu begeistern.

niederrhein Schon jetzt suchen zahlreiche Firmen in der Region händeringend nach gut ausgebildeten Fachkräften. Und der Druck auf die Unternehmen wird in Zeiten des demografischen Wandels steigen. Davon ist jedenfalls IHK-Präsident Burkhard Landers (60) überzeugt, selbst Chef einer mittelständischen Abfallentsorgungs- und Logistikunternehmens am Lippeglacis in Wesel.

Herr Landers, als Gastredner haben Sie jüngst bei der Wiedereröffnung der Volksbank-Hauptstelle in Wesel davon gesprochen, dass in der Region künftig viele Stellen unbesetzt bleiben könnten, wenn jetzt nicht gegengesteuert wird.

Landers Es ist so, dass wir damit rechnen müssen, dass bis zum Jahr 2030 durch den demografischen Wandel 40.000 Fachkräfte für unseren Industriestandort fehlen - davon sind lediglich 2000 Akademiker und 38.000 Industriemeister, Techniker und Facharbeiter.

Da stellt sich die Frage, welche Fehler in der Vergangenheit gemacht wurden, die zu dieser Ausgangssituation geführt haben.

Landers Zweifelsohne wurden Fehler gemacht. Wir haben zugelassen, dass in der Gesellschaft Akademiker ein überproportional hohes Ansehen genossen haben, während das Image der dualen Ausbildung und damit auch der Meister und Techniker abgenommen hat. Und es wird noch immer so getan, als sei ein Universitäts- beziehungsweise Hochschulabschluss eine Garantie für ein höheres Einkommen. Aber das ist nicht mehr so. Im Gegenteil. Heute verdient ein Industriemechaniker oder Meister oft mehr als ein Bachelor oder Master. Wichtig ist, dass sich die Wertschätzung gegenüber Facharbeitern und Meistern ändert, damit wir nicht in die Fachkräftefalle tappen. Das ist ein Thema, das viele umtreibt.

Unabhängig von den Verdienstmöglichkeiten ist für die meisten leistungsstarken Schüler sicherlich die Aussicht, ein Studium zu beginnen, attraktiver, als sich um eine Lehrstelle zu kümmern.

Landers Das ist eigentlich schade, denn eine praktische Berufsausbildung vor dem Studium erhöht die Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich. Es kann auch nicht jeder ein Abitur machen, auch wenn heute die Zahl der Studienanfänger über der der Ausbildungsstarter liegt. Es gibt auch viele junge Leute, die aus Haupt- und Realschulen kommen und mit ihren Talenten und Begabungen Berufe suchen.

Machen die Firmen schon genug, um das Problem anzugehen?

Landers Die Firmen müssen verstärkt daran arbeiten, dass junge Leute Lust bekommen auf eine duale Ausbildung. Dafür benötigen wir eine vernünftige Beratung und Berufsfeld-Erkundungsangebote. Wir können es uns übrigens auch nicht leisten, das Potenzial von Kindern aus den sogenannten bildungsferneren Schichten, die sich in der Schule oft recht schwer tun, nicht zu nutzen. Das ist wirtschaftlich und noch mehr gesellschaftlich nicht vertretbar. Kein Jugendlicher darf zurückbleiben. Wir haben auch eine Pflicht, uns um die Schwächeren in der Gesellschaft zu kümmern.

Was kann die IHK tun, um dieses große Ziel mittel- oder langfristig zu erreichen?

Landers Wir tun schon einiges dafür. Beispielsweise sorgen wir im Rahmen des Duisburger Schulmodells zusammen mit der Stadt und der Wirtschaft dafür, dass Jugendliche, egal welcher Herkunft, die Probleme in der Schule haben, "an die Hand" genommen werden und in einem Unternehmen ein Praktikum erhalten. Das ist recht mühevoll und arbeitsintensiv, aber jeder Einzelne, der so in eine Ausbildung kommt, die er sonst nicht bekommen hätte, lohnt die Arbeit.

Gibt es solche Angebote auch in Wesel?

Landers Wir haben mit der Stadt darüber gesprochen und werden es auch weiter tun. Es würde mich freuen, wenn meine Heimatstadt auch mitmachen würde. Zunächst aber werden wir im nächsten Jahr das Modell in Kleve, Bedburg-Hau und Kranenburg zusammen mit den Kommunen starten.

Sie sprachen davon, dass die Unternehmen Lust auf eine Lehre machen müssen. Wie soll das funktionieren?

Landers Es gibt viele gute Ideen. Ich muss wieder auf ein Beispiel aus Duisburg zurückgreifen, dem Azubi-Speeddating, bei dem die Jugendlichen mit Personalverantwortlichen großer und kleiner Firmen aus Industrie, Banken und Einzelhandel sprechen und sich so ohne formale Hürden vorstellen können. Der Reiz ist, dass sie erleben, dass jemand endlich einmal Zeit nur für sie hat und ihren Wünschen zuhört. Ein sehr gutes Projekt, finden auch die Unternehmen. Die bestätigen mir, dass sie bei jedem Speeddating mindestens einen künftigen Lehrling kennengelernt haben.

Vom Speeddating profitieren allerdings nur wenige. Sie aber möchten doch die Massen ansprechen.

Landers Genau dieses Ziel verfolgen wir mit unseren Ausbildungsbotschaftern. Das sind Lehrlinge aus dem zweiten oder dritten Lehrjahr, die in Schulklassen gehen, von ihrem Arbeitsalltag berichten und den Schülern auf Augenhöhe begegnen. Die Firmen stellen dafür ihre Lehrlinge frei.

Machen auch Weseler Firmen mit?

Landers Ja. Und es ist geplant, dass zukünftig noch mehr Ausbildungsbotschafter auch in Weseler Schulen gehen, um für das duale Ausbildungssystem werben.

KLAUS NIKOLEI FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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