Kleve Kleine Löcher im Gedächtnis

Kleve · Begeisterter Theaterabend mit Florian Zellers Alzheimer-Stück "Vater"

Das Thema ließ niemanden unberührt, nicht nur weil es um eine Krankheit ging, die jeden Menschen betreffen kann. Die Tragikomödie "Vater" von Florian Zeller ließ die Zuschauer in der Klever Stadthalle die Alzheimer-Erkrankung einmal aus der Perspektive des Kranken erleben.

Die Konzertdirektion Landgraf aus Titisee-Neustadt brachte das Schauspiel des jungen französischen Erfolgsautors unter der Regie von Rüdiger Hentzschel zur Aufführung. 15 Szenen zeigen den allmählichen geistigen Verfall der Hauptfigur, des 80jährigen André. Die Armbanduhr als Symbol für die Chronologie der Lebenszeit, die André mehr und mehr abhandenkommt, durchzieht leitmotivisch das Stück. Mal sucht er sie, mal versteckt er sie, dann wieder verdächtigt er den Freund seiner Tochter Anne, er habe sie ihm gestohlen. Anne sieht sich mit der Tatsache konfrontiert, ihren Vater nicht mehr alleine lassen zu können und organisiert Pflegerinnen, mit denen er sich immer wieder zerstreitet.

Die Dialoge und Missverständnisse zwischen André und seinen Bezugspersonen sind für den Zuschauer so verwirrend wie für André selbst. Faszinierend, wie Autor Florian Zeller es schafft, dass der Zuschauer das Geschehen komplett und bis zum Ende aus der Sicht der Hauptfigur erlebt: Der Verlust des Zeitgefühls und die zeitweise Unfähigkeit, nahestehende Menschen oder gewohnte Umgebungen zu erkennen, plötzliche Stimmungswechsel zwischen aggressivem Schreien und kindlichem Weinen. Ernst-Wilhelm Lenik verkörpert André so intensiv, dass die Zuschauer die dargestellte Verzweiflung als ihre eigene Verzweiflung empfinden. Eindrucksvoll, wie manche Szenen gleichzeitig Lachen und Weinen hervorrufen. Nah an der Hauptfigur ist Anne, die Tochter, (Irene Christ), die die Zuschauer glaubwürdig mitnimmt, die gestresst, überfordert und betrübt den Krankheitsverlauf ihres Vaters begleitet und selber leidet. "Weißt du wie mein Vater früher war?", fragt sie Pierre, ihren Lebensgefährten. Auch ihre Beziehung zu Pierre ist durch die Sorge um den Vater überschattet, so wie diesem Paar geht es vielen Angehörigen von Alzheimer-Kranken.

Im zweiten Teil des Stückes überwiegen die tragischen und sehr emotionalen Momente. André verliert zusehends seine Persönlichkeit und erlebt dies paradoxerweise bei vollem Bewusstsein. "Als hätte ich kleine Löcher. Im Gedächtnis. Kriegt keiner mit. Winzig klein. Mit bloßem Auge nicht zu sehen. Aber ich, ich spüre es", sagt er. Die Menschen um ihn herum leiden auf ihre Weise. Benjamin Kernen als Pierre möchte die Distanz, will dem Kranken nichts verheimlichen. Die Pflegerin Laura, gespielt von Juliane Köster, versucht eine Brücke zu bauen zwischen André`s Welt und der Realität. Für ihre überzeugende Darstellung erhielten die Schauspieler großen Beifall.

(RP)
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