Kleve Der "Kulturschock" der Brasilianerin

Kleve · Knapp 100 Nationalitäten versammeln sich an der Hochschule Rhein-Waal. Doch wie fühlt es sich an, mit einem völlig anderen kulturellen Hintergrund nach Deutschland zu kommen? Millie Jessica Fortunato Santos aus Brasilien erzählt.

 Millie Jessica Fortunato Santos studiert in Kleve im fünften Semester "International Relations". Ihre Zukunft sieht sie allerdings in ihrem Heimatland.

Millie Jessica Fortunato Santos studiert in Kleve im fünften Semester "International Relations". Ihre Zukunft sieht sie allerdings in ihrem Heimatland.

Foto: Evers

Küsschen links, Küsschen rechts - eigentlich nichts Besonderes zur Begrüßung, dachte sich die damals 21-jährige Brasilianerin Millie Jessica Fortunato Santos, als sie vor zwei Jahren zum Studieren nach Kleve kam. Da kannte sie die typisch zurückhaltende Art der Deutschen gegenüber Fremden noch nicht. In Brasilien war sie es gewohnt sich in Warteschlangen im Supermarkt, in der Bahn oder anderen Situationen mit Fremden zu unterhalten. Kulturschock Deutschland - plötzlich hat Millie das Gefühl, Leute zu stören, wenn sie sie im öffentlichen Leben anspricht.

Millie war nach anderthalb Jahren Studium in Salvador, Brasilien, zunächst zwei Jahre am Boston College in England, bevor sie an den Niederrhein kam. In Großbritannien empfand sie den Kulturschock weniger stark. "Das lag daran, dass ich dort viele brasilianische Mitschüler hatte. Außerdem lerne ich seit meiner Kindheit Englisch, da hatte ich nicht die Sprachbarriere", erläuter Millie. In Boston lernte sie ihre mittlerweile beste Freundin aus Alpen kennen: Leonie lud die Brasilianerin zu ihrer Familie nach Alpen in den Kreis Wesel ein. Kurze Zeit später schlägt Leonies Mutter Millie vor, in Kleve "International Relations" zu studieren. Für die Brasilianerin wird ein Traum wahr: Sie bekommt die Möglichkeit, das Fach, das sie schon seit ihrer Jugend begeistert, an der neu gebauten Hochschule Rhein-Waal (HSWR) in Kleve zu studieren. "Mit einem Studienabschluss aus Deutschland habe ich auf dem brasilianischen Arbeitsmarkt sehr gute Aussichten", sagt die derzeit im fünften Semester studierende Brasilianerin. Wohnen kann sie bei der Familie ihrer Freundin, die einstündige Fahrt zur Hochschule nimmt sie dafürgerne in Kauf.

Alles scheint perfekt, denn in Brasilien genießt Deutschland einen sehr guten Ruf. Hier funktioniere alles, es gebe keine Probleme, das Leben sei viel sicherer, das sei die in weiten Teilen der brasilianischen Bevölkerung vorherrschende Meinung. Auch Millie stellte nach kurzer Zeit im "Land der Ordnungsliebenden" für sich fest, dass Deutsche im Allgemeinen organisierter und pünktlicher erscheinen. "Was ich an Deutschland so liebe, ist die Sicherheit. Hier hätte ich keine Angst, mit 1000 Euro in der Tasche nach hause zu fahren. In Brasilien habe ich schon mit zehn Euro ein sehr mulmiges Gefühl in der Magengegend, wenn ich unterwegs bin", sagt die Studentin. Als Millie in Deutschland ankommt, stößt sie aber auch auf andere Seiten des Landes: "Deutsche sind normalerweise Fremden gegenüber nicht so offen wie Brasilianer", sagt sie. An der Klever Hochschule gibt es nicht viele Brasilianer. Millie hat daher sehr viele deutsche Freunde. Nach einer gewissen Zeit, so die 23-jährige, wenn Vertrauen erst einmal aufgebaut ist, seien aber auch die Deutschen sehr offene Menschen. Was noch einen großen kulturellen Unterschied darstelle: "Brasilianer stehen sich in der Familie viel näher, Kinder wollen in der Regel so lange zu Hause bleiben wie möglich. In Deutschland hingegen wollen die meisten so früh wie möglich ausziehen", erklärt Millie.

An der HSWR treffen derzeit fast 100 verschiedene Nationalitäten mit kulturell unterschiedlich geprägtem Hintergrund aufeinander. "Internationale Studenten treten im Umgang mit ihren Kommilitonen sehr unterschiedlich auf. Einige bleiben lieber mit ihren Landsleuten unter sich, andere integrieren sich extrem gut und sind allen Fremden gegenüber sehr offen. Das ist auch teilweise vom kulturellen Hintergrund abhängig. Generell kann man aber sagen, dass internationale Studenten sehr gut mit ihren deutschen Kommilitonen auskommen", erklärt Millie.

Millie, die nebenbei an der HSRW und für die Sprachenakademie Aachen arbeitet, möchte ihr Studium in Deutschland abschließen - aber für immer hier bleiben, das kann sie sich nicht vorstellen. "Viele Brasilianer, die einmal in Deutschland waren, können sich nicht vorstellen, den Rest ihres Lebens in Deutschland zu verbringen", sagt Millie. So sieht auch die brasilianische Studentin ihre Zukunft im Heimatland.

(RP)
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