Kleve Klever verzocken pro Jahr 7,3 Mio. Euro

Kleve · Die Spielhallen in der Schwanenstadt verzeichnen einen Rekordgewinn. Nie zuvor haben Menschen hier so viel Geld beim Glücksspiel ausgegeben wie im vergangenen Jahr. Die einzige Selbsthilfegruppe im Kreis trifft sich in Goch.

 Das Glücksspiel an den Spielautomaten kann zu einer Sucht werden, die nur schwer zu besiegen ist.

Das Glücksspiel an den Spielautomaten kann zu einer Sucht werden, die nur schwer zu besiegen ist.

Foto: dpa

"Man kann alles vergessen, wenn man spielt." Michael J. ist glücksspielsüchtig, 20 Jahre lang hat er in Spielhallen verbracht, vor den Automaten gesessen. "Der Automat spricht nicht mit mir, er macht nichts mit mir. Er lässt mich nur vergessen und abschalten." Mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland zeigt Studien zufolge kritisches Spielverhalten, über 264 000 von ihnen gelten als pathologische Spieler, suchtkrank. "Zuerst lief es nebenher, zwei-, dreimal im Monat. Nach einem halben Jahr wurde es öfter. Das ging vier, fünf Jahre so. Als das Geld knapp wurde, flog auf, dass ich gespielt hatte", sagt Michael J. Er steht beispielhaft für die Kehrseite eines Geschäfts, das in den vergangenen Jahren einen gewaltigen Boom erlebt hat.

Zahlen der Landeskoordinierungsstelle NRW zufolge blieben alleine in Kleve im vergangenen Jahr 6 988 060 Euro in den Kassen der Spielhallen, dazu kommen 281 458 Euro aus Geräten, die in Gastronomien stehen. Insgesamt knapp 7,27 Millionen Euro haben die Klever also verzockt - Rekord. Im Jahr 2012 waren es noch 5,5 Millionen Euro, zu Beginn der Aufzeichnungen 1998 nur 2,8 Millionen Euro. Auffällig: Während die Einnahmen aus der Gastronomie statistisch gesehen zurückgehen, verdienen die Spielhallen insgesamt immer mehr Geld. So ist die Anzahl der Geldspielgeräte in in Eckkneipen oder Schnellimbissen von 96 (1998) auf 30 (2014) zurückgegangen. In Spielhallen hingegen ist sie von 143 (1998) auf 240 (2014) gestiegen. Die Stadt verdient dabei kräftig mit: 16 Prozent des Einspielergebnisses an Apparaten mit Gewinnmöglichkeit müssen je Apparat und angefangenem Kalendermonat als Vergnügungssteuer abgetreten werden.

Ein ähnliches Bild bietet die Nachbarstadt Goch: Dort liegt der Kasseninhalt aus Spielhallen und Gastronomie 2014 bei knapp 3,6 Millionen Euro, zwei Jahre zuvor waren es noch rund 2,7 Millionen Euro. Damit liegen die beiden Städte im Verhältnis zu NRW-Großstädten deutlich über dem Schnitt. Neuss (etwa 150 000 Einwohner) kommt auf 8,4 Millionen Euro Kasseninhalt in Spielhallen. Düsseldorf (knapp 600 000 Einwohner) auf 42,3 Millionen Euro. Dabei ist die Anzahl der Geräte in Kleve und Goch eher Durchschnitt. Auf dem Land landet also verhältnismäßig einfach mehr Geld in den Spielhallen.

"In den Spielhallen wird man sehr gut betreut", sagt Werner Dicks-Jarosch von der Caritas Goch. Er leitet die einzige Selbsthilfegruppe im Kreis Kleve, alle zwei Wochen treffen sich die Teilnehmer an der Mühlenstraße, derzeit sind es elf Männer und zwei Frauen. "Die meisten haben ihr Geld in Spielhallen verloren, wenige im Casino", sagt Dicks-Jarosch. Wohl auch, weil die Zocker in den Hallen unter sich sind. "Die Bedienungen gehen zu den Spielern hin, es sind immer Damen, die ihnen freundlich das Geld wechseln", meint der Sozialarbeiter. Wohl aus Kalkül: "Der typische Spieler ist männlich und um die 20 Jahre, wenn er mit dem Spielen anfängt", sagt Dicks-Jarosch. "Immer größer wird das Thema Sportwetten."

Seit 21 Jahren trifft sich die Selbsthilfegruppe. "Wir haben keinen therapeutischen Anspruch", betont der Sozialarbeiter. Je nach Betroffenem kann die Gruppe aber ein wichtiger Bestandteil der Therapie sein. "Wer regelmäßig kommt, hat gute Chancen, das Problem in den Griff zu bekommen", meint der Gruppenleiter. Auch, weil man von den Erfahrungen anderer Suchtkranker erfährt. "Untereinander können sich die Betroffenen Dinge erzählen, die ich als Sozialarbeiter nicht sagen könnte."

Die Hürde, die zu überwinden ist, ehe man sich das Problem eingesteht und Hilfe sucht, sei eine große. Oft spielen die Zocker schon zehn bis 15 Jahre, ehe sie sich an die Gruppe wenden. Haben buchstäblich Haus und Hof verspielt, Beziehungen in die Brüche gehen lassen oder Straftaten begangen. Manche spielen mit Selbstmordgedanken. "Anders als bei Alkohol- oder anderen Suchtkranken sieht man Glücksspielsüchtigen das Problem nicht sofort an", sagt Werner Dicks-Jarosch. Etwa 50 Fälle betreut die Caritas-Fachstelle durchgehend.

Auch Michael J. weiß, dass man nach erfolgreicher Therapie ein Leben lang gefährdet ist. "Eigentlich geht es mir gut. Manchmal denke ich zu gut. Es juckt mich nicht mehr, wenn ich Spielhallen sehe. Ich habe keinen Drang, wie andere es schildern: Mensch, 50 Euro im Portemonnaie, kannst ja mal testen, ob du aufhören kannst", sagt er. Trotzdem hatte er drei Rückfälle. "Spieler bin ich bis zum Lebensende."

(RP)
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