Niederrhein Klimawandel kommt vor der Haustür an

Niederrhein · Der Temperaturanstieg sorgt dafür, dass es am Niederrhein Tiere zu sehen gibt, die sich hier vor Jahren noch nicht aufhielten. Ein Beispiel ist der Bienenfresser, der aus dem Mittelmeerraum kommend immer weiter gen Norden zieht.

 Mittlerweile ein häufiger Gast: der Schwalbenschwanz.

Mittlerweile ein häufiger Gast: der Schwalbenschwanz.

Foto: Dietrich Cerff

Die Temperatur liegt am Niederrhein knapp über dem Gefrierpunkt. Es scheint so, als wolle der von nicht wenigen Wissenschaftlern prognostizierte Klimawandel nicht so richtig in Schwung kommen. Aus der Serie: "Ich weiß nicht, was die haben, es friert doch fast. In Ostdeutschland ist es sogar noch viel kälter."

 Neu am Niederrhein: die Feuerlibelle.

Neu am Niederrhein: die Feuerlibelle.

Foto: Nabu

Der Biologe und Botaniker Dietrich Cerff (46), der als Naturschutzreferent bei der NABU-Station in Kranenburg arbeitet, kann die regelmäßig aufkommenden Zweifel am Anstieg der durchschnittlichen Temperatur nicht mehr hören. "Ich werte seit Jahren die Wetterdaten des Deutschen Wetterdienstes für uns aus. In den vergangenen zehn Jahren konnte ich immer zusammenfassend schreiben, dass das zurückliegende Jahr deutlich wärmer war als der langjährige Mittelwert von 1960 bis 1990." Cerffs Aussage deckt sich mit den Veröffentlichungen des NRW-Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft Natur- und Verbraucherschutz. Langfristig steige die mittlere Jahrestemperatur in NRW um etwa zwei Grad Celsius, heißt es in einem Papier des Ministeriums. Die Sommerhalbjahre würden trockener, die Sommertage nähmen zu. Im Winter würde es feuchter, Frosttage seien seltener.

Dietrich Cerff wurde 1967 in Freiburg geboren. Er erinnert sich daran, dass irgendwann in seiner Schulkarriere auch Umweltthemen wie etwa der Kohlendioxidausstoß und die dadurch drohende Klimaerwärmung mit Gletscherschmelze thematisiert wurden. Dieses Vorkommnis wurde damals nicht selten in die Ablage "Lästige Begleiterscheinung in den Industrienationen" abgelegt. Mittlerweile, so Cerff, mache sich immer deutlicher bemerkbar, welche Folgen der steigende CO2-Ausstoß auch vor der Haustür habe.

Und das würde nicht nur mehr Sonnenschein am Niederrhein bedeuten, weiß der Biologe. Ein handfester Beweis für die klimatischen Veränderungen trägt den putzigen Namen Bienenfresser. "Vor zehn Jahren habe ich die Stelle bei der NABU-Station angetreten. Damals brütete dieser Zugvogel im Rheinland erst seit einiger Zeit", sagt Cerff. Der Bienenfresser ist ursprünglich im Mittelmeerraum zu Hause. Seine Brutgebiete verschieben sich immer weiter nach Norden. "Dass sich viele Arten nach Norden bewegen, kann man plausibel nur durch die Klimaveränderung erklären", sagt Cerff.

Neben Vögeln fühlen sich vor allem auch neue Insektenarten am Niederrhein wohl. Der Biologe nennt auf Anhieb zahlreiche Libellen, die erst seit einigen Jahren hierzulande auftauchen. Dazu zählen die Feuerlibelle, Keilflecklibelle, Südliche Heidelibelle und die Südliche Mosaikjungfer. Auch vor einigen Jahren am unteren Niederrhein noch nie gesichtete Heuschreckenarten sind mittlerweile Dauergäste. "Die Gottesanbeterin, die zu den Fangschrecken zählt, war zunächst nur am Kaiserstuhl zu Hause, also im wärmsten Teil Deutschlands. Mittlerweile hat sie fast Nordrhein-Westfalen erreicht", sagt Dietrich Cerff. Zahlreiche Arten wandern Richtung Norden und verlagern ihre Fortpflanzungsgebiete. Der NABU-Mitarbeiter erklärt: "Vermutlich werden durch den Klimawandel mehr Arten nach NRW zu- als abwandern, da wenige Tiere hier am Niederrhein die Südgrenze ihrer Verbreitung haben und deshalb mit einem wärmer werdenden Klima hier verschwinden würden." Nun wird es Stimmen geben, die sagen: "Prima — Artenvielfalt ist doch etwas Großartiges". Die geistige Substanz von Aussagen dieser Kategorie tendiert stramm Richtung Null. Biologe Cerff zieht folgenden Schluss: "Man muss das global bewerten. Es gibt kälteliebende Arten, die können irgendwann nicht mehr weiter wandern — Gebirgsarten etwa — wenn sich die Wärmestufen weiter nach oben verschieben, müssen diese Tiere auch immer weiter nach oben klettern. Und dann wird's eng, denn irgendwann hört der Berg auf. Diese Arten werden aussterben."

Für den Naturschützer steht fest, dass der Niederrhein den Klimawandel immer stärker zu spüren bekommen wird. Er nennt als Beispiel den Rekordsommer 2003 mit Temperaturen von über 40 Grad Celsius in Deutschland. 3500 Menschen starben an den Folgen der Hitzewelle, Waldbrände brachen aus. "Die Auswirkungen werden sich hier dennoch im Vergleich zu anderen Teilen der Welt, wo sich Wüsten ausbreiten werden, in Grenzen halten", sagt Cerff, der sich dafür ausspricht, unter anderem mit dem Ausbau alternativer Energiequellen den Klimawandel zu stoppen. Auch bei dem Gedanken an den aktuell geplanten "Windpark im Reichswald" bekommt der Biologe keineswegs Schüttelfrost, wenn die 200 Meter hohen Windräder quasi seinen Arbeitsplatz teilweise verschandeln: "Wenn aber die Untersuchungen belegen, dass keine naturschutzrechtlichen Bedenken bestehen, steht der NABU keineswegs gegen dieses Vorhaben. Der Klimawandel ist globales Problem, da muss man auch vor der Haustüre etwas tun."

(RP)
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