Kleve Knaben mit sehr edlem Klangbild

Kleve · Konzert der Besonderen Reihe mit schonungsloser Messe ging unter die Haut.

Das zweite Konzert der Besonderen Reihe ging gleich doppelt unter die Haut. Zum einen wegen des glockenklaren Klangs des Knabenchors Gütersloh (unter der Leitung von Sigmund Bothmann), zum anderen wegen des Mittelwerks, der "Kindermesse zum Gedenken der im dritten Reich ermordeten Kinder" von Tilo Medek aus dem Jahre 1974. Antje Plieg-Oemig an der Violone und Bettina Pieck an der Orgel begleiteten den Knabenchor, der sich klanglich sehr gut in die Akustik der erfreulich voll besuchten Versöhnungskirche Kleve fügte.

Das Konzert begann mit den drei Motteten aus dem "Jahrkreis" op. 5 (1933) von Hugo Distler "Lobe den Herren", "Verleih uns Frieden gnädiglich" und "Wie der Hirsch schreit". In Distlers wortgezeugter, am Versrhythmus orientierter Melodik sang der Chor in lichter Frische ohne enervierendes Vibrato. Es zeigte sich gleich die Präsenz der 19 Knaben der hohen und 24 Jugendlichen und Herren der tiefen Partien: Locker und flexibel artikulierten und intonierten die geschulten Stimmen berückend sauber und dynamisch - ein sehr edles Klangbild. Es folgten drei Werke von Heinrich Schütz aus dem 17. Jahrhundert, ein passender Sprung, der nicht nur klanglich, sondern auch textlich u.a. mit "Herr, auf Dich traue ich" eine innere Basis schuf für Tilo Medeks "Kindermesse".

Dieses Werk in neuen Teilen wurde nur von den Knabenstimmen gesunden und basiert auf Holocaust-Texten, vorzugsweise von Nelly Sachs. Sie ist den im dritten Reich ermordeten Kindern gewidmet, Kindern, die ihre Kindheit nicht leben durften - die ihren "Puppen gelbe Flicken auf die Brust" nähten, wie ein Knabe als Sprecher in den Hintergrundgesang hinein vorlas. Lautmalerisch fuhr da die Leichenkutsch mit "Rirarutsch" und im wilden Fugato erklang "der zum Tode gezeichneten Kinder Nacht". Es ist eine schonungslose Messe, die einem das Herz brechen kann. Eine der Kernsätze, in lamentierende Sekundwechseln abwärts intoniert: "Immer dort, wo Kinder sterben, werden Stein und Stern und so viele Träume heimatlos". Angreifend und ergreifend erklang im Anschluss der Sprechgesang: "Ihr Zuschauenden (...), wieviel brechende Augen werden euch ansehen?". Wohltuend wie Balsam auf die aufgewühlten Sinne setzte sich danach die Bach-Motette "Jesu meine Freude" BWV 227. In zügigem Tempo und entschlossenem Klang setzte Bothmann in der dichten Polyphone markante Zeichen: seine Entscheidung, einige Abschnitte der Motette solistisch zu besetzen, überzeugte und brachte schöne Kontraste in die Interpretation, ohne das Vokale zu verschatten. Zu einem wundervollen Punkt der klanglichen Konzentration wurde das Quartett "Gute Nacht, o Wesen". Der Knabenchor entließ ohne Zugabe mit dem von Bach vertonten Glaubensgrundsatz: "Dennoch bleibst du auch im Leide, Jesu, meine Freude", und empfing minutenlangen Applaus.

(RP)
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