Kleve Mit Druck auf Rippen Stottern bekämpfen

Kleve · Ingrid Del Ferro bietet in Kleve Anti-Stotter-Seminare an. Fünf Tage praktische Übungen. Methode umstritten, nicht bei jedem funktioniert das Programm dauerhaft. Schnelle Erfolge sind möglich, aber langfristiges Üben ist notwendig.

 Ingrid Del Ferro zeigt, wie das Zwerchfell durch eine bestimmte Atemtechnik zu beeinflussen ist.

Ingrid Del Ferro zeigt, wie das Zwerchfell durch eine bestimmte Atemtechnik zu beeinflussen ist.

Foto: Gottfried Evers

Martin aus Wesel lebt seit 13 Jahren in China. In Shanghai ist er Geschäftsführer eines großen deutschen Unternehmens. Er muss viel sprechen - nicht nur Deutsch, sondern auch Englisch und Chinesisch. In den Fremdsprachen stehen ihm naturgemäß weniger Synonyme und damit Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung, und das ist ein Problem, denn Martin ist Stotterer. Vor 20 Jahren hat der Niederrheiner erstmals an einem Anti-Stotter-Synonym von Ingrid Del Ferro (48) teilgenommen, jetzt wiederholt er es - diesmal in Kleve. Denn die Therapeutin, die von ihrem Vater die "Del-Ferro-Methode" übernommen hat und seit Jahrzehnten anwendet, gibt neuerdings Kurse in einem Büro im Hoffmann-Kantor. In einem zweiten Anlauf will Martin "die letzten zehn Prozent" seines Sprachproblems noch ausmerzen.

"Erfunden" hat das Therapiekonzept der amerikanische Opernsänger Leonard Del Ferro, der 1978 durch Heirat in die Niederlande kam und dort einen Gesangsschüler hatte, der stotterte. Quasi als Nebenwirkung des Stimmtrainings verschwanden die Sprachaussetzer des Schülers. Del Ferro befand, dass dies mit den intensiven Zwerchfellübungen zusammenhängen müsse. Nach Aussage seiner Tochter, die die Arbeit des Vaters seit 25 Jahren weiterführt, lassen sich die zitternden, unkontrollierten Bewegungen des Zwerchfells durch Atem- und mentale Übungen beeinflussen. Die Wirkung soll schon nach wenigen Tagen bemerkbar sein.

Deshalb erstrecken sich die etwa 1800 Euro teuren Kurse über nur fünf Tage (es gibt auch längere). Die Kunden kommen nicht nur aus der Region, sondern auch aus den Nachbarländern. "Chinese" Martin verbindet damit einen Heimaturlaub. Die Männer und zwei Frauen, die am Seminar teilnehmen, lassen sich zunächst an einer Darstellung des menschlichen Körpers die Lage des Zwerchfells zwischen Lunge und Bauchraum erläutern und üben dann mit einem Kunststoff-Modell, das wichtige Organ zu stimulieren. Und schon bald lernen sie, durch Druck der eigenen Hände auf die Rippen das Zwerchfell in der gewünschten Weise zu heben, damit es nicht flattert.

Martin, der für Außenstehende kaum hörbar stottert, hat sich in diesen Tagen zurück auf Anfang begeben. Er will die Technik noch einmal von Grund auf erlernen, um sie komplett zu verinnerlichen. Bis dahin legt er vor Antworten lange Konzentrationspausen ein, legt sich den Satz sichtlich zurecht und sagt ihn dann recht automatenhaft auf. Immerhin komplett ohne zu stottern. Ingrid del Ferro versichert, dass dies bei fast jedem funktioniert, der genügend übe. Mit dem Stottern müsse man sich nicht abfinden, man könne es erfolgreich bekämpfen.

Ob das wirklich so ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. In Internetforen äußern sich durchaus auch Skeptiker und Menschen, die weniger gute Erfahrungen gemacht haben. Auch die Krankenkassen übernehmen die Kosten in der Regel nicht. Immerhin werden die Kurse offenbar gut gebucht.

Keine Frage, dass Stottern für die Betroffenen ein großes Problem ist: Als Kinder werden sie gehänselt, beteiligen sich am Unterricht kaum, finden nur schwer Ausbildungsplätze, verstecken ihr Handicap, so gut sie können. Stottern macht einsam. "Sie sind gefangen in der Welt, in der sich alles um Kommunikation dreht, und fühlen sich befreit, wenn sie endlich sagen können, was, wann und zu wem sie wollen", sagt die Niederländerin. Der Leidensdruck ist oft groß genug, um den Therapie-Versuch zu wagen.

Alexandra Maschkio aus Paderborn hat ihren damals siebenjährigen Sohn zu einem zehntägigen Kursus der Therapeutin begleitet. Sie weiß, dass es Zweifler gibt, versichert aber: "Luca war nach einem halben Jahr stotterfrei. Bis dahin haben wir täglich geübt - erst mit den Händen auf den Rippen, dann die neue Atemtechnik, irgendwann funktionierte das Sprechen spontan. Mein Kind fand es nicht immer toll, schon morgens früh vor der Schule seine Übungen zu machen. Aber heute ist er froh, dass er in der Schule nicht mehr ausgelacht wird." Was die Mutter ärgert: Die Krankenkasse beteiligt sich an den Kosten der Behandlung nicht - mit der Begründung, Del Ferros Lehre sei in Deutschland keine anerkannte Heilmethode. Dabei habe sie sich von einer Logopädin und der Kinderärztin bescheinigen lassen, dass ihr Kind jetzt stotterfrei ist. Was vorangegangene Therapien nicht geschafft hatten.

(RP)
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