Interview: Serie Unser Rhein (Folge 10) Orsoy: Rheinstadt mit langer Geschichte

Kleve · Heute steht der Rheinberger Ortsteil vor allem für Tourismus, früher gab es Schnapsbrennereien und Zigarrenfabriken.

 Blick über den Rhein auf Orsoy mit der Grundschule am Nordwall (rechts) und dem sogenannten Pförtnerhaus (links)

Blick über den Rhein auf Orsoy mit der Grundschule am Nordwall (rechts) und dem sogenannten Pförtnerhaus (links)

Foto: Armin Fischer

Wenn Werner Kehrmann Gruppen durch das alte Rheinstädtchen Orsoy führt, dann weiß er: Mit nackten Zahlen, Fakten und Daten langweilt man die Menschen nur. "Die Leute wollen lebendige Geschichten, wollen Dönekes hören", sagt der Experte für die Historie der Stadt. Und zu erzählen gibt es über Orsoy genug. Die alte Stadt am Rhein, die sich 1975 nur ungern eingemeinden ließ und seither ein Stadtteil Rheinbergs ist, ist heute vor allem als Naherholungsziel bekannt. Scheint die Sonne, pilgern unzählige Fahrrad-, Motorrad- oder Autofahrer mit der Rheinfähre von Walsum über den Strom, um den linken Niederrhein zu genießen. Vom Spazierweg auf dem Rheindeich hat man einen wunderbaren Blick auf den Fluss.

 Stadtführer Werner Kehrmann

Stadtführer Werner Kehrmann

Foto: Ralf Hohl (Archiv)

Von dort sieht man aber auch den Orsoyer Niag-Hafen, den es dort seit gut 100 Jahren gibt. Ein nach wie vor wichtiger Umschlagplatz für Kohle. Schon 1685 wurde der erste Hafen erbaut, der bis 1935 existierte - auf der Fläche des heutigen Parkplatzes an der Orsoyer Grundschule.

"Orsoy war früher eingekeilt", erläutert Kehrmann. "Von der Grafschaft Moers im Süden, vom kurkölnischen Rheinberg im Westen und dann vom Rhein her. Der Hafen war auch deshalb wichtig für die Stadt, weil Orsoy keine Marktrechte hatte."

Die Stadtrechte erhielt Orsoy 1273/1274 - zur gleichen Zeit wie Dinslaken. "Die 700-Jahr-Feier fand dennoch 1985 statt", so Kehrmann. "Denn die älteste noch existierende Urkunde stammt aus dem Jahr 1285. Sie wurde im Kloster Kamp gefunden." Orsoy geht auf eine fränkische Siedlung zurück. Über den Namen ist viel spekuliert worden. Heute weiß man: Orsoy - sprich: Orsau - stammt von "Ross-aue", also "Pferdewiese". Werner Kehrmann: "Mit dem französischen ,Orsay' hat das nichts zu tun, das war der Name des Pariser Stadtbaumeisters. Und der Name geht auch nicht zurück auf den römischen Offizier Orcinius."

Orsoy war eine Festungsstadt. Der berühmte italienische Renaissance-Architekt Johann Pasqualini hat sie ab 1565 im neuen italienischen Stil erbaut. "Pasqualini hat auch in Orsoy gelebt, er war mit einer Orsoyerin verheiratet", so der Stadtführer, der weiß: "Für Historiker ist Orsoy eine große Besonderheit." Denn die Stadt mit ihren Bastionen ist ein Pentagona - eine Festung mit fünf Bastionen, die man heute noch erkennen kann: an der Grundschule, am evangelischen Alten- und Pflegeheim, am katholischen Friedhof, am evangelischen Friedhof und an der Kiesendahlstraße. 1672 haben französische Truppen die Festung und die Burg, deren Grundmauern noch existieren, zerstört.

In wirtschaftlicher Hinsicht war Orsoy bekannt für Brennereien, Tuchherstellung und seine Tabakfirmen. "Es gab bis zu 20 Schnapsbrennereien gleichzeitig in Orsoy", so Kehrmann. Dass in Orsoy auch Tuch gewoben wurde, lag an Verbindungen, die in die Seidenweberstadt Krefeld bestanden. Die Zigarrenherstellung führte Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. 1908, so berichtete unser Experte, habe es neun Firmen im Ort gegeben mit insgesamt 411 Mitarbeitern, wobei ganze Familien mitgezählt wurden.

Die Tabakfirma Kirking produzierte noch bis 1950. So lange bestand auch eine Zollstelle in Orsoy. Das Katholische Pfarrhaus "Altes Zollhaus" erinnert daran. Legendär ist die große Zahl der Gaststätten, die es früher in Orsoy gab. Die genaue Zahl vermag auch Werner Kehrmann nicht zu benennen. Oft heißt es, es habe an jeder Ecke eine Kneipe gegeben. Was die ausgiebige Feierei in Orsoy anging, so stand der Ort lange unter der "Oberaufsicht" der Hansestadt Wesel, wie Kehrmann weiß: "Wenn die Orsoyer es zu doll trieben, gab es von den Weselern was auf die Mütze."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort