Interview: Rp-Serie Ausprobiert Bühne frei für den Grobmotoriker
Kleve · RP-Mitarbeiter Jan Dobrick steht mit der Großen Tanzgarde der Krunekroane auf der Bühne des Kranenburger Bürgerhauses. Sein Trainingsauftritt ist eine "mittlere Katastrophe". Heißt aber auch: Es hätte durchaus schlimmer sein können.
Kranenburg Eigentlich dachte ich, mit dreimal hoch das Bein ist die Sache erledigt. Ist sie aber nicht. Dreimal hoch das Bein ist erst der Anfang. Und heute vermutlich der Anfang vom Ende. Obwohl mein Training mit der Großen Tanzgarde der Karnevalsgesellschaft Krunekroane im Grunde genommen damit beginnt, dass ich meine käsigen Senk-, Spreiz- und Plattfüße in hochglanzpolierte rote Lackstiefel mit schwindelerregenden Absätzen zwänge. Der mit Federn geschmückte Wollfilzhut sitzt, wackelt und hat Luft, die mir auf der Bühne des Kranenburger Bürgerhauses schon so langsam ausgeht. Stretching.
Durchaus wichtige Lektion: Es gewinnt nicht derjenige, der als Erster einen Bänderriss hat. "Das Dehnen muss guttun", sagt Trainerin Birgit Derks, während ich an meinem Fuß zerre, als würde ich mit einem Hund um einen Knochen kämpfen. Lisa Hermsen und Melanie Arndt könnten mit ihren verblüffenden Fähigkeiten im Zirkus auftreten. Ich dürfte wohl nicht mal die Manege fegen - und bezweifle auch, dass ich motorisch dazu in der Lage wäre.
Alle Tänzerinnen (insgesamt 20) rutschen der Reihe nach in den Spagat. Sprich, sie spreizen die Beine so weit, dass sie eine gerade Linie bilden. Formvollendet. Meine schiefe Grätsche bietet sich eher für eine Kurvendiskussion an. Die Tänzerinnen neben mir verziehen die Gesichter, als sie meine Gelenke knacken hören. Tut auch weh. Aber ich lasse mir nichts anmerken.
Fehlendes Taktgefühl, eine mangelhafte Körperspannung und Ausstrahlung sind dagegen nicht zu übersehen. Das grelle Bühnenlicht schmeichelt mir nicht gerade. Im Klartext: Ich schleppe mich über die Fläche, als wäre ich damit beauftragt worden, das Parkett zu schleifen. "Deine Haltung ist eine mittlere Katastrophe", stellt Birgit Derks fest, die die Tänzerinnen gemeinsam mit Sonja Langenberg betreut. Die Trainerin nimmt kein Blatt vor den Mund. Allerdings ist meine Performance nur eine "mittlere" Katastrophe. Ein verstecktes Kompliment, denn es könnte schlimmer sein.
Dann kommt der große Auftritt: Wir führen den Gardetanz auf. Dreieinhalb Minuten dauert die schweißtreibende Show. Mandy Naß muss heute nicht mitmachen. Sie nimmt Antibiotika, die Glückliche, will mir aber keine Pille abgeben. Alle anderen stemmen die Hände in die Hüften - Einmarsch. Aus den Boxen dröhnen kölsche Karnevalslieder, jetzt geht's um die Wurst. Von November bis März kommt die Große Tanzgarde auf 120 Auftritte. Wäre blöd, wenn ich die Mädels mit meinem hektischen, unkontrollierten Gezappel schon zu Beginn der Session aus dem Rhythmus bringen würde. Ich setze mein strahlendstes Lächeln auf und marschiere stolz wie ein Pfau auf die Bühne. "Sieh zu, dass du dich nicht nur auf deine Gesichtsmuskeln konzentrierst", ruft Lisa - und wischt mir damit das breite Grinsen aus dem Gesicht.
Hoch das Bein, hoch das Bein, hoch das Bein. Das Lachen wäre mir spätestens jetzt eh vergangen. Hoch das Bein, hoch das Bein, hoch das Bein. Polka-Drehung, ich improvisiere. Hoch das Bein, ich improvisiere ein weiteres Mal. Am Ende improvisiere ich eigentlich nur noch. Bei der einminütigen Zugabe hechte ich dann halsbrecherisch von der Bühne. Genau wie seinerzeit Patrick Swayze beim finalen Abschlusstanz in Dirty Dancing, finde ich. Nicht einmal ansatzweise wie Patrick Swayze, finden die anderen. Und ich erinnere mich an die Lektion zu Trainingsbeginn: Beim Gardetanz gewinnt nicht derjenige, der als Erster einen Bänderriss hat.
