Lokalsport Der letzte Held

Kleve · Die Sportart Tennis nahm Mitte der 80er Jahre einen rasanten Aufstieg. Seit 1995 entwickelt sich die Zahl der Spieler jedoch nur noch in eine Richtung: Es geht abwärts. Auch die Mannschaftsmeldungen sinken kontinuierlich. Ein Veteran kämpft gegen den Niedergang.

Wenn jemand hierzulande etwas über die Sportart Tennis erzählen kann, dann er: Horst-Dieter van de Loo. Wer am unteren Niederrhein diesen Sport nur halbwegs ernsthaft betrieben hat, kennt den Mann. Van de Loo spielte in der Bundesliga, sammelte 60 deutsche Meisterschaften und ist mittlerweile 69 Jahre alt. Immer noch steht er als Trainer mit einem Balleimer auf Plätzen. Dort serviert er Spielern, die versuchen sich zu verbessern, mundgerecht die Filzkugeln.

Der weiße Sport hat im vergangenen halben Jahrhundert mehrere rasante Entwicklungen genommen. Horst-Dieter van de Loo hat sie alle hautnah erlebt. So kennt Tennis seit Jahren nur eine Richtung: Es geht stramm bergab. Die Krise ist auch vor der Haustür angekommen und verstärkt sich von einer Medensaison zur nächsten. Vornehmlich sind noch Spieler aktiv, die in die Jahre gekommen sind. Sie treffen sich in den Altersklassen zum freundschaftlichen Vergleich. Im Tennisbezirk Linker Niederrhein, zu dem auch der Kreis Kleve gehört, melden sich jährlich 30 Mannschaften weniger an. Der Weg, den das Spiel auf Asche derzeit nimmt, scheint vorprogrammiert.

Wenn Horst-Dieter van de Loo über Tennis spricht, erzählt er Geschichten aus der Vergangenheit. Von bedeutenden Turnieren oder seinen ersten Jahren in der Bundesliga, in der er für den HTC Blau-Weiß Krefeld spielte. Der 69-Jährige hat Tennisspielen gelernt, als sich noch mehr auf den Terrassen der Clubhäuser abspielte als auf dem Platz. Täglich erlebte er jedoch durch Trainerstunden und Medenspiele die Entwicklung zum Volkssport.

Auf die aktuelle Situation blickt der ehemalige Bundesligaspieler nahezu emotionslos. "Wenn ich wüsste, was man genau ändern muss, um den Trend aufzuhalten, würde ich Vorträge halten und ein reicher Mann sein", sagt van de Loo. Doch reich war er nie. Obwohl er das eigentlich hätte sein müssen. Denn als er seine ersten Bälle auf der roten Asche schlug, prägten vornehmlich Bürger der gehobenen Gesellschaft die Vereine.

1947 geboren, wuchs der Spitzenspieler direkt neben einer Tennisanlage auf. Sein Vater war Platzwart beim Landtennisklub Grün-Weiß Moyland, die Mutter führte die Gastronomie. Zusammen wohnte man im Platzhaus. Beim LTK ging es in den 60er Jahren ebenso elitär zu wie bei allen anderen Clubs auch. "Bei jeder kleinen Feier herrschte auf der Terrasse Weinzwang", sagt van de Loo. Wer dem Verein beitreten wollte, brauchte nicht nur Geld, sondern auch Bürgen, die bereits Mitglied waren. Über die Aufnahme entschied der Vorstand. Es gab eine Kleiderordnung und für verschlagene Bälle Balljungen. Horst-Dieter van de Loo war einer davon. So verdiente er als Achtjähriger seine ersten 25 Pfennig, mit 15 Jahren gab er bereits Trainerstunden. Die Nähe zu den Plätzen machte es möglich, dass er sehr schnell sehr gut spielte. "Unsere Familie gehörte nicht zu der gesellschaftlichen Gruppe, die es sich leisten konnte, Tennis zu spielen. Mir ging es in erster Linie nicht darum, irgendwo dazuzugehören. Mein Ziel war es, ständig besser zu werden." Und er wurde es. So spielte er in der Bundesliga und gegen alle deutschen Topleute. Noch in den 80er Jahren stand er für die erste Herrenmannschaft des TC RW Goch in der Oberliga auf dem Platz. Genau das waren die Boom-Jahre, die von Boris Becker und Steffi Graf ausgelöst wurden. Der Tennissport wähnte sich in der Zeit auf einer Insel des Wachstums. Der Sponsorenmarkt war ein Selbstläufer. In den Vereinen gab es Wartelisten, Aufnahmegebühren mussten gezahlt werden. 1994 hatte der Deutsche Tennisbund (DTB) 2,3 Millionen Mitglieder. Der Höhepunkt war erreicht. Seitdem gibt es kein Jahr, in dem die Zahl der Vereinsmitglieder nicht sinkt.

Manfred Starlinger (50) hat den großen Schwund miterlebt und tut es immer noch. Seit zwölf Jahren ist er Vorsitzender der Klever Tennisvereinigung Rot-Weiß. Ein Verein, der vor allem reich an Tradition ist. An Aktiven mangelt es hingegen. Als Starlinger den Posten übernahm, hatte der Club knapp 600 Mitglieder. Heute sind es 113. Lediglich zwei Mannschaften nehmen im Sommer noch am Spielbetrieb teil. Ein Team in der Klasse Herren 40 (mindestens 40 Jahre alt) und eine Riege Herren 75. 1994 wurden 22 Teams gemeldet. Eine Damen- oder Jugend-Mannschaft hat der Verein nicht mehr. "Wir sind da realistisch. Die Kosten sind zu hoch. Geht die Entwicklung so weiter, müssen wir uns etwas überlegen", sagt Starlinger. Eine Überlegung könnte in einer Fusion enden. An den Kosten hat man bereits geschraubt. Vier Plätze hat der Verein bereits aufgegeben. Eine Trendwende ist nicht in Sicht.

Horst-Dieter van de Loo will es dennoch versuchen. Mit Aktionen wie kostenlosem Training, kein Beitrag in den ersten Monaten will er Nachwuchsspieler für den TC RW Goch gewinnen. Er weiß, wie schwer es ist, aber er versucht es dennoch. Denn der Routinier war immer ein Kämpfer. Neben und auf dem Platz. Er gehört zu den letzten Helden im Tennissport. Immer noch lässt er keine Deutsche Meisterschaft in seiner Altersklasse aus. Er wird zweifellos seine Titelsammlung weiter aufstocken. Denn für ihn gilt, wie es in einem englischen Sprichwort so treffend heißt: Form ist temporär, Klasse ist immer.

(jan)
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