Bedburg-Hau/Kleve Sprungbrett für jugendliche Flüchtlinge

Bedburg-Hau/Kleve · Drei Afghanen, vier Syrer und ein Iraker, die als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Deutschland kamen, werden bei den "Scientific Freshers" an der LVR-Klinik für das Leben in Deutschland und eine Ausbildung vorbereitet.

Die Professoren Thorsten Brandt (links) und Dirk Untiedt (rechts) mit der Mann- und Frauschaft vom "Sprungbrett", "Freshers" und Flüchtling.

Die Professoren Thorsten Brandt (links) und Dirk Untiedt (rechts) mit der Mann- und Frauschaft vom "Sprungbrett", "Freshers" und Flüchtling.

Foto: Klaus Stade

Nachts um drei Uhr setzte sich Ahmed* (Name von der Redaktion geändert) mit 45 anderen Menschen in das Schlauchboot. Der 16-Jährige war alleine. Er kam aus dem umkämpften Irak über die Türkei an die Küste der Adria. Von hier sollte es über Griechenland ins rettende Mitteleuropa gehen. Nach drei Stunden auf dem Wasser ging das Boot kaputt. Es kenterte. Ahmed wurde von einem Helikopter aus dem Meer gefischt, nach sieben Stunden war er wieder zurück in der Türkei. Wie viele Menschen starben, weiß Ahmed nicht. Er schaut auf die Erde, wenn er von den Erinnerungen erzählt.

Erst mit dem nächsten Boot klappte die Überfahrt. Als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling erreichte der 16-Jährige im Herbst Gießen, seit Januar ist er in Bedburg-Hau. Sein Zimmer ist kahl, private Dinge hat Ahmed nicht retten können. Er möchte einen Hund haben: Das Bild eines flauschigen Schlittenhundes hängt säuberlich ausgeschnitten an der Wand in seinem Zimmer. Der erste Schritt von Individualität.

Ahmed beherrscht bereits viele Sätze des fremden Deutsch, lernt jeden Tag die Sprache, schreibt Vokabeln sorgfältig in sein Heft. Inzwischen ist er auf dem Berufskolleg des Kreises Kleve angekommen. Und der Iraker spielt Fußball. Redet er vom Fußball und vom Hund, leuchten seine Augen. Dass er etwas lernen will, dass er einen Beruf haben möchte, sagt er, fragt man nach seinen Zielen.

Der junge Iraker wohnt in einer neuen Einrichtung der "Scientific Freshers". Dort werden junge Menschen aus dem Nicht-EU-Ausland für ein Studium in Deutschland fit gemacht und für ein Studium im Bereich der Ingenieurwissenschaften oder Wirtschaftswissenschaften in Kleve, Aachen oder Duisburg vorbereitet.

"Wenn wir junge Schüler aus dem Ausland aufs Studium vorbereiten und hier rund um die Uhr betreuen können, dann können wir auch unseren Beitrag für die Integration von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen leisten", sagt Prof. Dr. Dirk Untiedt. Der Wirtschaftsingenieur betreibt zusammen mit Prof. Dr. Thorsten Brandt die "Scientific Freshers". Die Professoren waren sich einig: Wir könnten den Neuankömmlingen helfen, in Europa eine Zukunft zu finden.

Das Know-how ist da - also nahmen Untiedt und Brandt Kontakt zum Sozialhilfeträger auf, zum Kreis Kleve, zum Landschaftsverband Rheinland. "Wir wollen die jungen Menschen an ihrem jeweiligen Stand abholen. Hauptsache, sie sind motiviert. Wir qualifizieren und integrieren sie, indem wir ihnen Bildung bieten", sagt Untiedt.

Die wichtigste Bildung ist zunächst die Sprache. Also gibt es in der Einrichtung eine Sprachlehrerin, die die acht hier untergebrachten Flüchtlinge, die zwischen 15 und 18 Jahre alt sind, unterrichtet. "Scientific Freshers" mietete ein Haus des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) an, richtete die Zimmer ein, baute Duschen und Küchen ein, möblierte die Räume als Zuhause für die acht jungen Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten des Nahen und Mittleren Ostens.

Der Sozialpädagoge Volker Zippelius leitet die Einrichtung. Er wird von weiteren Pädagogen, darunter als Integrationslotse Melina Zari und als Betreuerin Julia Grootens, unterstützt, die die Jugendlichen 24 Stunden rund um die Uhr betreuen. Viereinhalb Vollzeitstellen haben Untiedt und Brandt mit der Einrichtung "Sprungbrett" geschaffen. Es wird zusammen gekocht, am Abend sitzt man in der Runde, manchmal trifft man sich mit den "Scientific Freshers". Die Hausaufgabenhefte mit den Deutschübungen sind säuberlich, fast in Schönschrift geführt.

"Sprungbrett" heißt die neue Einrichtung mit Bedacht: Denn der Aufenthalt hier soll ein Sprungbrett in ein besseres Leben mit einer fundierten, gründlichen Ausbildung werden. Die Finanzierung des Projekts wird über die Entgeldvereinbarung für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge über die Jugendämter geregelt, die Abrechnung erfolgt mit dem Land. Die Anerkennung als Einrichtung bekam "Sprungbrett" vom LVR.

Drei Afghanen, vier Syrer und ein Iraker wohnen derzeit in dem Haus, es sind alles Jugendliche, die die Aussicht haben, anerkannte Asylberechtigte zu werden. Untiedt hofft, dass diejenigen, die bald volljährig sind, weiter im "Sprungbrett" bleiben dürfen, um auch wirklich den Sprung ins Leben zu schaffen. "Unser Ziel ist es, die jungen Menschen in eine Ausbildung zu bekommen. Vielleicht sogar in eine akademische Ausbildung", sagt Untiedt. Das nächste Ziel: eine zweite Gruppe in Kleve aufzubauen.

(RP)
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