Kleve Tradition und Neuanfang

Kleve · Der Kellener Timo Bleisteiner ist seit einem halben Jahr neuer Direktor des Klever Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums. Er kennt die Schule bestens, denn seit Jahren unterrichtet er hier Mathematik und Physik.

 Schulleiter vor dem Altbau: Timo Bleisteiner, Direktor des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums.

Schulleiter vor dem Altbau: Timo Bleisteiner, Direktor des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums.

Foto: G. Evers

In der Kategorie jüngster Schulleiter des Freiherr-vom-Stein-Gymansiums ist man geneigt, Timo Bleisteiner gewisse Siegchancen einzuräumen. Er ist 38 Jahre und seit sechs Monaten Direktor des Gymnasiums. Eine Schule, die reich an Tradition ist und 2017 ihr 200-jähriges Bestehen feiert.

Nachdem Claus Hösen vor den Sommerferien verabschiedet wurde, übernahm Bleisteiner dessen Job. Aber nicht nur den. Bei einem Blick in das Büro des Schulleiters fällt auf, dass sich nicht viel verändert hat. "Dazu hatte ich keine Zeit. Es gibt derzeit wichtigere Dinge als neue Möbel", sagt Bleisteiner.

Wichtig bei der Entscheidung für den Job war für ihn auch, dass er sich an der Schule auskennt. So unterrichtet der Pädagoge hier seit einigen Jahren die Fächer Physik und Mathematik. Doch ist ihm nicht allein das Innere des Steins vertraut, sondern auch die Umgebung. Bleisteiner wurde in Kellen geboren, legte am Konrad-Adenauer-Gymnasium sein Abitur ab und wohnt jetzt wieder mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Kleve. In der Zwischenzeit hat er in Düsseldorf studiert und sein Referendariat am Emmericher Gymnasium absolviert. Zudem war er einige Jahre in der Lehrerausbildung tätig.

Der Entschluss, sich um den Job zu bemühen, ist Bleisteiner nicht über Nacht gekommen. "Ich habe lange mit mir gerungen", sagt der Klever. Lieber hätte er noch drei, vier Jahre gewartet und dann die Leitung des "Steins" übernommen. Es zeugt von Realitätssinn, wenn der 38-Jährige einräumt, dass die Stelle für ihn wohl kaum ein paar Jahre frei gehalten worden wäre. Ein weiterer Grund für die Lösung der "Jetzt oder nie"-Situation war, dass Bleisteiner wusste, worauf er sich einlässt. Schülerschaft, Kollegium, Eltern - alles bekannt. Die Gefahr für einen größeren Betriebsunfall ist damit gleich Null. "Hier weiß ich, mit wem ich zusammenarbeite", sagt der Oberstudiendirektor, und ergänzt, was nicht wenige in solchen Situationen anführen: "Ich kann auf guten Unterricht durch ein engagiertes Kollegium bauen." Aber auch auf sich selbst. Timo Bleisteiner wird weiterhin sein Wissen in der Klasse weitergeben. Er will den Kontakt zu Schülern sowie Eltern nicht verlieren, um zu wissen, worüber gesprochen wird und wo die Probleme sind. Revolutionäre Pläne, was in naher Zukunft alles geändert werden muss, hat der Schulleiter nicht. Zweifellos keine schlechte Entscheidung zum Auftakt, denn große Visionen sind gefährlich. Sie enden nicht selten in der Realität. "Für mich fängt dieser Prozess zunächst damit an, dass man wertschätzt, was man hat. Und das ist eine Menge", sagt der 38-Jährige.

Auf eigene Vorstellungen, wie Schule funktionieren sollte, will er dennoch nicht gänzlich verzichten. Ein Ansatzpunktpunkt für ihn ist etwa die gezielte Förderung im Bereich Sprache. "Hier geht es nicht allein um Migrantenkinder, sondern auch um deutschsprachige. Die Klassen werden heterogener, was sich nicht allein auf das Leistungsvermögen bezieht, sondern auch auf den kulturellen Hintergrund der Kinder", sagt der Lehrer. Deutsch entwickelt sich zu einem immer zentraleren Fach, dem am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium noch mehr Bedeutung beigemessen wird.

Was das Thema G 8 oder G 9 betrifft, so kann man die Entscheidung für G 8 bedauerlich finden, zu ändern ist sie nicht. Der 38-Jährige hat damit abgeschlossen und sagt: "Es ist ausreichend diskutiert worden. Ich stelle fest, dass es funktioniert. Vor allem, wenn man gymnasialfähige Schüler hat. Ob es sinnvoll ist, dass Jugendliche noch ein Jahr früher zur Uni gehen, will ich nicht beurteilen."

Neben einem veränderten Aufgabengebiet gibt der neue Job auch dem Tagesablauf von Timo Bleisteiner deutlich mehr Struktur: 7.30 Uhr im Büro, erste Telefonate - etwa mit Kollegen, wenn diese sich krank melden; große Pause im Lehrerzimmer; anschließend nicht selten Gespräche mit der Bezirksregierung; Unterrichtsbesuch bei Referendaren; Post erledigen; in der Schulmensa essen; Gespräche mit Kollegen oder Schülern führen; gegen 18 Uhr Feierabend; zu Hause warten gelegentlich Korrekturen.

Doch ist der Oberstudiendirektor weit davon entfernt, über sein Arbeitsaufkommen zu klagen. Was er anmerkt, ist, dass die Belastungen für Lehrer größer geworden sind. Gründe dafür: Schule müsse immer mehr pädagogische Aufgaben übernehmen sowie Vorgaben im Bereich Verwaltung und Organisation erfüllen, so Bleisteiner.

Zudem klagt das Gros der weiterführenden Schulen in Nordrhein-Westfalen seit Jahren über die Flut von neuen Erlassen. Inklusion, Seiteneinsteigerklassen, Eingliederung Migrantenkinder, Konzeptanforderungen, Schulentwicklung, neue Lehrpläne - die Erneuerungsdichte ist enorm gestiegen. Doch mehren sich die Stimmen im Land, dass die ständig neuen Vorgaben teilweise etwas von der Arbeitsweise eines Fünf-Euro-Friseurs am Bahnhof haben. Schnell, aber unpräzise.

Seit einigen Monaten gilt für Timo Bleisteiner: weniger Freizeit, mehr Büro. So spielte der Direktor einst Tennis und Fußball. Geblieben sind Auftritte in einer Fußball-Hobbygruppe. Wie im Job nimmt er sich auch hier zurück. So steht seine Art auf dem Platz ebenso in einem akzeptablen Verhältnis zu seiner fußballerischen Begabung. "Ich hatte nie das Verlangen nach großen Auftritten", sagt der ausgeglichene Mann mit Ruhepuls 60. Ebenfalls Teil seiner Freizeitgestaltung: "Ich bin großer Fan von Borussia Dortmund", sagt er. Zumindest ein weiterer Hinweis auf Bodenhaftung. Allein am Verein könnte man noch arbeiten.

(RP)
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