Ungewöhnliche Aufnahmen Klever Ansichten

Kleve · Manchmal ändert sich der Blick auf vertraute Dinge erst, wenn man eine andere Perspektive einnimmt. Selbst wenn es sich dabei um eine Stadt handelt, deren Bild uns ganz selbstverständlich vorkommt.

Über den Wolken und unter der Erde
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Über den Wolken und unter der Erde

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Wir haben Journalistenschüler Maximilian Krone losgeschickt, Kleve mal aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Die Geschichten liegen auf der Straße, sagen Journalisten gerne. In diesem Fall lagen sie aber darunter — und deutlich darüber. Unser Autor ist mit Kanalarbeitern in die Unterwelt der Schwanenstadt abgestiegen und mit Liam Megill vom Luftsportverein Goch in die Luft gegangen. Was er dabei über die Stadt und sich selbst gelernt hat, lesen Sie auf der Sonderseite.

Rund 1000 Meter über dem Niederrhein ist es still. Kein Motorendröhnen, kein Baustellenlärm, nichts. Einzig das Rauschen des Windes ist zu hören. Die perfekte Gelegenheit, um abseits des Alltagstrubels, ohne Kopfhörer im oder Handy am Ohr die Landschaft zu genießen, die von oben noch mal ganz anders wirkt als von unten. Wir sind mit einem Segelflugzeug unterwegs und kreisen fast lautlos über die Region. Fast schon winzig erscheint der Reichswald aus vielen hundert Metern Höhe. Die Spuren des Menschen sind aber auch im größten zusammenhängenden Waldgebiet des Niederrheins unverkennbar. Wie auf einem großen grünen Schachbrett wechseln sich die Baumarten in großen, quadratischen Feldern ab. Genauso wie die vielen landwirtschaftlichen Flächen rings rum. Grün, gelb, braun — ein wahres Fest für das Auge. Und dann sind da natürlich noch die vielen Straßen, die sich wie lange graue Adern durch die Landschaft ziehen.

Viele davon führen nach Kleve, das somit auch von oben wie das Herz des Kreises wirkt. Was vom Boden wie ein zufällig entstandenes Geflecht von Straßen und Häusern aussieht, ist aus der Vogelperspektive eine wohldurchdachte Anordnung. Die runde Form des historischen Stadtkerns ist auch ohne Stadtmauer noch gut zu erkennen. Die Schwanenburg, die über Kleve thront sowieso. Irgendwann scheint die ummauerte Stadt aber zu klein geworden zu sein, neuer Wohnraum musste her. Zunächst noch rund um die ehemalige Stadtmauer angesiedelt, erstrecken sich die Neubaugebiete bald tief in Richtung Reichswald. Von verwinkelten Straßen und Gassen fehlt dort jede Spur, wie der Blick von oben zeigt. Praktisch sollte es anscheinend zugehen. Breite Straßen, auf denen gut geparkt werden kann, Einfamilienhäuser mit Garten — so schauen Reichswalde und Teile von Materborn von oben aus. Nur zwei Beispiele für vorgelagerte Ortsteile Kleves, die übrigens nahezu in jeder Stadt oder Gemeinde in der Region ähnlich aussehen.

Statt Einfamilien-Siedlungen befinden sich dort auch häufig Gewerbegebiete. An der Bundesstraße 9 in Goch zum Beispiel. Der Perspektivwechsel macht dort allerdings kaum einen Unterschied. Die großen Hallen und betonierten Flächen wirken sowohl von oben, als auch von unten trist. Lediglich die winzig erscheinenden Lkw lassen einen manches Mal denken, man blicke auf eine Miniaturwelt. Nicht weit davon entfernt fällt der Blick auf die Südsee — könnte man zumindest meinen. Türkis blaues Wasser, weiße Strände — paradiesisch. Kleine Punkte, die am Wasser liegen, lassen vermuten, dass es sich die Besucher des Freizeitbads GochNess in der Sonne richtig gut gehen lassen. Mit Wasser gefüllte Kiesgruben — wie die am GochNess — sind indes keine Seltenheit. Überall fallen die Löcher in der Landschaft auf.

Landesgrenzen kennt der Blick von oben übrigens nicht. Der Übergang ist fließend. Auch auf niederländischem Gebiet: viele Felder, Wälder und Seen. In der Ferne sind Arnheim und Nimwegen zu sehen. Der Rhein erscheint als breiter braun-grauer Teppich am Horizont, der kaum zu fließen scheint.

Völlig alleine ist man auf rund 1000 Metern aber nicht. Lässt man die Vögel außer acht, tummeln sich auch dort Menschen. Alleine oder zu zweit gleiten Hobby-Piloten in anderen Segelfliegern am Himmel. Kreisend, auf der Suche nach dem perfekten Aufwind. Weit höher düsen Verkehrsflugzeuge vorbei, in der Ferne landet von Zeit zu Zeit eine Linienmaschine auf dem Flughafen in Weeze und bringt Touristen und Geschäftsleute zurück in den schnelllebigen Alltag mit Baustellenlärm und Handy am Ohr.

Täglich nehmen die Klever sie in Anspruch, fahren über sie, laufen über sie — die Kanalisation. Sie ist eine stille Schattenwelt, eine Stadt unter der Stadt. Karg und funktionell, für die meisten unsichtbar und verborgen unter Metern von Erdreich, versiegelt mit dicken Deckeln. Nur durch diese Eingänge gelangt man in die dunklen Schächte. Wir sind an der Albersallee rund vier Meter in die Tiefe abgestiegen und haben uns Kleve von unten angeschaut.

Dort befindet sich eine — für die meisten wohl unbekannte — Anlage, die bei jedem großen Wolkenbruch dafür sorgt, dass die Klever Keller trocken bleiben. In zwei großen Becken wird bei Starkregen das Wasser gesammelt. Bei gutem Wetter jedoch fehlt dort von den Wassermassen jede Spur. Am Boden ist lediglich ein kleines Rinnsal zu sehen, umringt von Schlamm, der sich dort mit der Zeit absetzt. Es ist feucht und riecht etwas modrig. Die Ablagerungen an den betonierten Wänden lassen aber erahnen, was dort unten bei schlechtem Wetter los ist.

Bei den Becken handelt es sich um das einzige Regenrückhaltebecken dieser Art in der Stadt. Fertiggestellt wurde es bereits vor rund 30 Jahren, als die Siedlung rund um die Albersallee noch gar nicht gebaut war. Rund 1,4 Millionen D-Mark wurden dort damals unter der Erde verbaut. Seitdem bietet die Anlage Platz für 3400 Kubikmeter Wasser. Anlagen dieser Art werden laut Bernhard Klockhaus, Leiter des Klever Tiefbauamtes, immer wichtiger. "Durch den Klimawandel gibt es in Kleve immer mehr Starkregen, der die Kanalisation an ihre Kapazitätsgrenze bringt", sagt er. Daher seien solche Anlagen so wichtig. Denn sie speichern große Wassermengen für kurze Zeit und geben sie dann nach und nach wieder ins Kanalnetz ab. So sollen Überschwemmungen auf den Straßen vermieden werden. Ohne diese Anlagen wäre das häufiger der Fall. "Wasser braucht Platz. Bei Regenmengen von 100 Litern auf den Quadratmeter hilft auch der Bau eines größeren Kanals nicht, denn auch dieser wäre mit einer solchen Regenmenge in kurzer Zeit überlastet", sagt Klockhaus.

Die Anlage an der Albersallee ist dabei aber nur ein kleiner Abschnitt von rund 375 Kilometern Kanal, die sich unterirdisch unter der Stadt verzweigen. Kanal ist dabei aber nicht gleich Kanal. Denn während ein Netz nur Regenwasser aufnimmt, führt das andere Schmutzwasser ab. Das wird dann in Kläranlagen aufbereitet und in die Natur abgeleitet. Beim Regenwasser ist das meist nicht nötig und das, obwohl es viele Schmutzpartikel mit sich führt. Denn Reifenabrieb und Staubpartikel aus den Autos gelangen mit dem Regenwasser genauso in die Kanäle wie Reste von Laub und Erde. Damit die Kanäle und die Regenrückhaltebecken nicht verstopfen, werden sie mindestens ein mal im Jahr gereinigt.

Nicht alle Stellen sind begehbar. Die Hauptröhren, die einen Durchmesser von bis zu 2,4 Metern erreichen, sind imposante Bauten unter der Stadt. Dort enden viele Verästelungen des Kanalsystems und sammeln das Wasser, um es zentral zur Kläranlage oder in Bäche und Flüsse zu leiten. Der Blick auf Kleve aus der Maulwurfperspektive offenbart dabei eindrucksvoll, dass die Rohre und Kanäle ein genaues Spiegelbild der oberirdischen Stadt abbilden. Denn: Je mehr Menschen oder je größer eine asphaltierte Fläche, desto höher und breiter wird auch der Kanal, um mit den Wassermengen fertig zu werden. Während die Kanalisation rund um das Becken an der Albersallee betoniert und noch recht neu ist, ist sie an anderen Stellen der Stadt geziegelt und schon mehr als 100 Jahre alt. Die historische Entwicklung der Stadt wird dort fast schon greifbar.

(maxk)
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