Interview: Serie Unser Rhein (Folge 9) Unter Trommelfeuer auf die andere Rheinseite

Kleve · Operation Plunder, Operation Varsity, Operation Flashpoint - hinter den Namen der militärischen Einsätze am Rhein im März 1945 stand ein Ziel: die Überquerung des Flusses, um die letzten Truppen der Nationalsozialisten zu bezwingen. Fast zwei Wochen, bevor sie die Querung des Flusses wagten, hatten die alliierten Streitkräfte das linke Rheinufer komplett unter ihre Kontrolle gebracht.

 Der heutige Blick auf das linke Rheinufer, von dem aus 1945 die alliierten Truppen zur Flussüberquerung ansetzten.

Der heutige Blick auf das linke Rheinufer, von dem aus 1945 die alliierten Truppen zur Flussüberquerung ansetzten.

Foto: Stephan Kaluza/Rheinprojekt-Edition

"Von Emmerich bis Rheinberg hatten sie am anderen Rheinufer alles besetzt", erinnert sich Wilhelm Hüser. Der 81 Jahre alte Ehrenvorsitzende der Gilde Mehrum erlebte die letzten Tage des Krieges als Kind mit. Am 23. März 1945 läuteten die Streitkräfte mit Artilleriefeuer ihre Überquerung des Flusses ein. Dazu setzten sie massiv Rauch ein, um ihr Vorrücken über den Strom vor den deutschen Streitkräften auf der anderen Rheinseite zu verbergen. "Um 18 Uhr fingen sie mit dem Beschuss an, um 23 Uhr begannen sie - gedeckt von Trommelfeuer - die Überquerung, und um 1 Uhr am Morgen standen die ersten Soldaten in meinem Elternhaus", weiß Wilhelm Hüser zu berichten.

Unter dem Decknamen "Operation Flashpoint" bemühte sich die 9. US-Armee, zwischen Wesel und Walsum den Rhein zu überqueren und einen Brückenkopf einzurichten. Bei Rheinkilometer 803,5 setzten die Truppen schließlich über und landeten in den Mehrumer Rheinwiesen.

"Sie haben dann zwei Pontonbrücken über den Fluss gebaut. Eine für den Hin- und die andere für den Rückweg", erklärt Wilhelm Hüser. Die Alliierten rissen eine Schneise in den Rheindeich, um ihren Vormarsch ungehindert fortsetzen zu können, und bauten gar eine Straße, die aus den Rheinwiesen hinauf ins Dorf führte.

"Dafür nahmen sie Material aus der Ruine von Haus Mehrum", berichtet Wilhelm Hüser. Das Adelshaus war durch das Artilleriefeuer bei der Rheinüberquerung schwer in Mitleidenschaft gezogen worden und musste 1965 endgültig abgerissen werden. "Die Straße, die von den Amerikanern angelegt wurde, bestand noch bis zur neuen Auskiesung am Rheinufer und war in Mehrum immer nur als Amiweg bekannt", erklärt Wilhelm Hüser.

Er selbst erlebte, wie viele der damaligen Bewohner des Rheindorfs, den eigentlichen Übergang der Alliierten nicht hautnah mit. "Viele Bewohner waren bei den ersten Angriffen von der anderen Rheinseite geflüchtet. Als die Überquerung stattfand, waren nur noch 17 Menschen in Mehrum", erzählt Wilhelm Hüser.

Vom Rheindorf aus setzten die Truppen ihre Eroberung des rechten Rheinufers fort. Die Militäroperation brachte sogar Prominenz von der Insel ans Rheinufer: Am 25. März besuchten der damalige britische Premierminister Winston Churchill und Feldmarschall Bernard Montgomery die alliierten Streitkräfte am Fluss und setzen in einem Boot von der linken auf die rechte Rheinseite über.

Die Kämpfe gingen derweil weiter: Die alliierten Truppen marschierten weiter in Richtung Voerde vor und kamen schließlich auch nach Hünxe. Wilhelm Hüser selbst erlebte, damals als zwölfjähriger Junge, die Wehrmacht und die Amerikaner in Aktion - nämlich im Hünxer Wald. "Die Amerikaner haben sich uns gegenüber positiv verhalten", erinnert er sich an seine erste Begegnung mit den US-Soldaten in seiner Heimat.

Seit 2005 erinnert ein Gedenkstein in Mehrum an die Rheinüberquerung. Am Rande des Rheindorfs an der Schlossstraße führt eine kleine Allee zur sogenannten Friedenseiche. Der Baum war zum Ende des deutsch-französischen Krieges 1871 an dieser Stelle - mitten in einem Feld - gepflanzt worden. Die Gilde Mehrum entschied sich zum 60. Jahrestag der Rheinüberquerung, dort einen Gedenkstein zu jenem Ereignis aufzustellen. "Zur Erinnerung an den Rheinübergang durch die 9. US Army in der Nacht vom 23. zum 24. März 1945 bei Stromkilometer 803,5", steht auf der Bronzetafel geschrieben, die den Findling ziert. Umgeben ist er von einem durchbrochenen Wall von Erdhügeln, die den von den Alliierten durchbrochenen Deich darstellen sollen.

In Mehrum ist die Erinnerung an den Tag vor fast 70 Jahren noch lebendig.

(RP)
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