Kleve Verborgene Gerichtsgeschichte in der Schwanenburg

Kleve · Das Amtsgericht und das Landgericht gibt es in der Schwanenburg nicht erst seit gestern. Vor 200 Jahren war dort sogar einmal ein Oberlandesgericht - obwohl es für Kleve nicht zuständig war. Eine fast vergessene Geschichte und ein Blick hinter die Kulissen.Von Milena Reimann

Es war ein bisschen verkehrte Welt, damals am 11. März 1817. Vor 200 Jahren bekam Kleve ein Oberlandesgericht - dabei war es für die Stadt und ihre Umgebung gar nicht zuständig. "Eine merkwürdige Entscheidung", sagt Historikerin Helga Ullrich-Scheyda. Sie kann sie erklären.

In der Schwanenburg, die vor mehr als 1000 Jahren erbaut wurde, gibt es eine lange Rechtsgeschichte. Schon unter den Herzögen von Kleve war dort das Hofgericht angesiedelt. Auch heute beherbergen die teils alten Mauern das Amts- und das Landgericht. Doch das Oberlandesgericht von damals brachte es nicht weit. Während Kleve von 1794 bis 1814 zu Frankreich gehörte, hatten die Bürger Gefallen am französischen Recht gefunden und wollten diese Rechtsform behalten. "Der preußische Staat hat schließlich nachgegeben", sagt Scheyda. Weil das Oberlandesgericht als Teil des preußischen Rechtssystems in Kleve also keinen Sinn machte, wurde es 1820 nach Hamm verlegt.

 Die Schwanenburg im Herzen von Kleve fotografiert vom Turm der Stiftskirche. Auf unserem Archivbild ist auch noch das Union-Gebäude zu sehen, das mittlerweile abgerissen ist.

Die Schwanenburg im Herzen von Kleve fotografiert vom Turm der Stiftskirche. Auf unserem Archivbild ist auch noch das Union-Gebäude zu sehen, das mittlerweile abgerissen ist.

Foto: van Offern

Ebenfalls aus der Zeit der Franzosen stammen die Spuren des Gefängnisses im heutigen Spiegelturm. Eine schwere, hölzerne Zellentür und ein kleiner Raum dahinter erzählen Geschichte: "Jeder bekam einen Strohsack als Bett, und es gab einen Eimer mit Wasser zum Spülen, wenn jemand musste", sagt Scheyda. Als der Kaiser 1909 bei einem Besuch in Kleve die heruntergekommene Burg seiner Vorfahren sah, ließ er einen Gefängnisneubau an anderer Stelle anordnen. Noch bevor das Gefängnis 1915 umsiedelte, wurde 1910 der letzte Mensch in Kleve hingerichtet. Neben dem Gefängnis im Außentrakt existierte das Landgericht seit 1820 im Innentrakt der Schwanenburg.

Auch heute wird in der Schwanenburg Recht gesprochen. Das Landgericht Kleve ist zuständig für den gesamten Kreis Kleve sowie Teile des Kreises Wesel. Bedeutende Fälle wurden hier verhandelt, zum Beispiel der Ehrenmordprozess Gülsüm. Doch auch anderes sorgte für Schlagzeilen: 2013 konnte zum Beispiel ein Verurteilter durch das Toilettenfenster flüchten.

 Ím Schwurgerichtssaal werden die großen Fälle verhandelt, dazu gehören (versuchter) Mord und Totschlag.

Ím Schwurgerichtssaal werden die großen Fälle verhandelt, dazu gehören (versuchter) Mord und Totschlag.

Foto: van Offern Markus

Durch eine moderne Schleuse mit Sicherheitstechnik wie am Flughafen betreten Besucher das Gericht. Mehr als 260 Menschen arbeiten für die Gerichte, davon sind 51 Richter. In elf Sälen wird in der Schwanenburg verhandelt. Kaum einer ähnelt dem anderen. Der Familiengerichtssaal zum Beispiel sieht aus wie ein kleiner Konferenzraum. An einem großen, ovalen Holztisch sitzen sich die Beteiligten direkt gegenüber. In der Ecke steht ein kleiner Tisch mit Malsachen und Kuscheltieren. Sorgerecht- und Unterhaltsverfahren oder Scheidungen werden in diesem Raum verhandelt.

Ein anderer Saal steckt voller technischer Ausrüstung: Ein großer Fernseher hängt an der Wand, Kameras und Mikrofone sind in einem Wandschrank verstaut. Dort finden Videoschalten ins Ausland statt. "Wenn in Spanien eine Gerichtsverhandlung ist und die Zeugin wohnt am Niederrhein, dann wird die hier vernommen", erklärt Hausmeister Uwe Trepmann. Er ist bei diesen Verhandlungen meist dabei, um die Technik zu bedienen. Solche Fälle kommen vor, wenn im Urlaub das Portemonnaie geklaut wurde oder ein Zeuge in der JVA Kleve sitzt und in einem Fall im Ausland aussagt.

 Historikerin Helga Ullrich-Scheyda in der Tür zu einer ehemaligen Gefängniszelle.

Historikerin Helga Ullrich-Scheyda in der Tür zu einer ehemaligen Gefängniszelle.

Foto: van Offern Markus

Die ganz dicken Brocken, sogenannte Kapitalverbrechen - also alles, bei dem es um (versuchten) Mord und Totschlag geht - finden im Schwurgerichtssaal statt. Zwölf Verhandlungen waren es im vergangenen Jahr. So viele, dass sogar eine befristete Hilfsstrafkammer eingerichtet werden musste. Holzvertäfelungen, massive Möbel, Kronleuchter und Bilder aus vergangenen Jahrhunderten kleiden den Raum bedeutungsschwer. "Wenn hier Modernisierungsmaßnahmen stattfinden sollen, müssen die in Absprache mit dem Denkmalschutz erfolgen", erklärt Lembke.

Überhaupt: Ein Gericht in solch einem Gebäude stellt Mitarbeiter und Besucher vor Herausforderungen. Überall gibt es Treppen - doch einen Aufzug sucht man in den verwinkelten Gängen vergeblich. "Wenn wir wissen, dass ein Zeuge oder ein Angeklagter nicht mobil ist, dann richten wir uns danach und verlegen die Verhandlung ins Erdgeschoss", erklärt Lembke. Hausmeister Trepmann hat trotzdem mit dem ungewöhnlichen Arbeitsplatz zu kämpfen. "Ich brauch einmal im Jahr neue Schuhe", sagt Trepmann und lacht.

Doch auch in einem anderen Sinne macht das Gebäude dem Hausmeister das Leben schwer. Im vergangenen Sommer zum Beispiel zog die Burg Pokémon-Go-Spieler an, weil sie in dem Smartphone-Spiel zu einem Treffpunkt erkoren wurde. Den Müll, den die Spieler hinterlassen haben, musste Trepmann wegräumen. Das sind eigentlich Dinge, für die er nicht zuständig ist. Verkehrte Welt, auch heute noch.

(RP)
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