Kleve Vom Ulcus in den "Hof" - oder "Glasi"

Kleve · Weißt Du noch? Unsere Autoren, alle vom Niederrhein, erinnern sich an ihre Jugendjahre auf dem platten Land zwischen Duisburg und Emmerich, zwischen Kleve und Wesel.

 Im Ulcus an der Duisburger Straße traf sich die Jugend. Hier war an den Wochenenden oft kein Durchkommen mehr. Auch vor der Kneipe war's voll. Vor ein paar Tagen hat der Ulcus Neueröffnung gefeiert.

Im Ulcus an der Duisburger Straße traf sich die Jugend. Hier war an den Wochenenden oft kein Durchkommen mehr. Auch vor der Kneipe war's voll. Vor ein paar Tagen hat der Ulcus Neueröffnung gefeiert.

Foto: MB

Oliver Bierhoff hieß der Nationalspieler, der am letzten Juni-Sonntag 1996 im EM-Endspiel im Wembley-Stadion mit seinem Golden Goal Fußball-Deutschland in Ekstase versetzt. Auch in der Wanne, einer Kneipe am Dinslakener Altmarkt, brach ein Jubelsturm aus, als der Blondschopf das 2:1 gegen Tschechien erzielte. Dort wurde das Finale auf Großleinwand übertragen. In der Wanne war kein Stehplatz mehr frei. Wie immer, wenn Deutschland spielte. Die kleine Tribüne, vom Wirt extra aufgebaut, drohte wieder zusammenzubrechen. So wie schon einige Tage zuvor. Die EM-Party setzte sich auf dem Altmarkt fort. Ich landete im Brunnen. Mit nasser Hose und Wasser durchtränkten Schuhen ging's in den Ulcus, einem weiteren Anlaufpunkt für die Jugend der Stadt.

Dieser Abend ist nicht nur wegen des Golden Goals in Erinnerung geblieben. Es war einer diese Sommerabende, als die Altstadt voll war mit jungen Leuten wie mich. Es gab eine Kneipenszene. Sehen und gesehen werden. Ganz entspannt, ohne den Störenfried namens Handy. Neben der Wanne gab's Ricks's Café, Café Central (gegenüber der Bücherei) und eben den Ulcus. Ebenfalls gemütlich und beliebte Anlaufpunkte für Heranwachsende. Zur späten Stunde ging's in die Disco - bevorzugt in den Jägerhof oder, wer auf die Musik mit den wummernden Bässen stand, in den Glaspalast.

Und heute? Jägerhof, Glaspalast, Wanne, Rick's Café - alle längst geschlossen.

Der größte Tanz- und Musikschuppen der Stadt ist heute das Walzwerk mit Kuka und Werkhalle - mitten im ehemaligen Industriegebiet an der Thyssenstraße. Und wo früher die Wanne war, hat im Januar das Rock-Bistro Soulkitchen eröffnet.

Der Ulcus, der zwischenzeitlich mal Club hieß und dichtgemacht hatte, hat seit kurzem wieder auf. So voll wie Mitte/Ende der 90er Jahre, als fast jedes Wochenende in den warmen Monaten kein Durchkommen war, an der großer Fensterfront innen das Wasser runter lief und vor der Türe kein Auto vorbeikam, weil junge Menschen davorstanden und sich über die Dinge unterhielten, die sie beschäftigten. Erste Liebe, Fußball, Abiturstress oder Studium. Der Ulcus war vor dem Umbau nicht schön, sorgte aber für schöne Stunden. Jeder war willkommen. Es gab keine Kleiderordnung. Jeder sprach mit jedem. Urgemütlich eben. Dass die Toiletten gammelig waren, hat niemanden gestört. Hier gab's das erste gezapfte Bier mit 16 und vor der Theke den ersten Kuss mit der ersten große Liebe, hier traf sich die Clique. Stundenlanges Kickern, Pfeile werfen auf die Dartscheibe. Morgens, mittags und/oder abends.

Von dort aus setzte sich am Wochenende der Abend oft in den Jägerhof fort. Einer Disco für jedermann unweit der A3, Anschlussstelle Dinslaken-Süd. Hier trafen sich viele Ulcus-Gäste wieder. Es wurde getanzt - zu Songs von U2, den Sex Pistols oder Madonna. Nur Techno kam nicht auf den Plattenteller. Alle paar Wochen waren die Stimmen von Udo Jürgens, Juliane Werding oder Roland Kaiser zu hören. Dann hieß es: Schick machen für die "Bad Taste Party". Schön hässlich war schick. Wenn möglich, wurde eine Gruppen-Verkleidung ausgewählt. Mal ging's in Bademänteln, mal in Handball-Trikots aus den 70er Jahren, mal in Hot Pans, die an den Hinterteilen von jungen Männern doch sehr dämlich aussahen und obendrein noch unheimlich unbequem waren, in den "Hof".

Eine ganz andere Welt bot sich im "Glasi". Da, wo heute die Mitarbeiter des technischen Rathauses vor den Bildschirmen sitzen, wurde ordentlich abgezappelt. Rein kam nicht jeder, abgewiesen von der harten Türe wurden etliche, die meinten cool zu sein. Gegen meine Glasi-Premiere mit fast 17 Jahren hatten die Türsteher keine Einwände. Ob es an dem extravakanten, farbenfrohen Pulli von Daniel Poole lag? Es war die Zeit von Haddaway und seinem What ist Love. Es lief Rhythm Is A Dancer von Snap! Wenn 2 Unlimited mit No Limit loslegten, kochte der Dancefloor, also die Tanzfläche. Aus ganz NRW kamen die Partyhungrigen nach Dinslaken. Auch Fußballprofis schauten regelmäßig vorbei und ließen es sich gut gehen. Wer in den Glaspalast ging, konnte aber auch zu Schmusesongs tanzen. Verlieben, verloren, vergessen, verzeih'n - Schlager-Barde Wolle Petry war in einem kleineren Nebenbereich omnipräsent.

Es gab die Jägerhof-Gänger, die den "Glasi" verabscheuten. Und es gab die "Glasi"-Gänger, die nie einen Fuß in den "Hof" gesetzt hätten. So war's auch in meiner Clique. Doch egal, welcher der beiden Tanzschuppen auch das Ziel war, im Ulcus, im Rick's Café oder in der Wanne stand man vorher gemeinsam zusammen. Sprach über dies und das, über Nichtigkeiten oder ganz wichtige Dinge, zumindest, was wir dafür hielten.

Die Altstadt war voll mit jungen Menschen. Der Altmarkt war ein Treffpunkt. So wie im Sommer 1996, als Oliver Bierhoff Fußball-Deutschland glücklich machte und in der Wanne in Dinslaken die Tribüne bedenklich wackelte.

René Putjus (42) wuchs in Dinslaken auf und arbeitet als Sportredakteur in der Redaktion Xanten/Rheinberg.

(PUT)
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