Kleve Was wir diesen Griechen schulden

Kleve · Mit sechs Jahren Jahren kam Apostolos Prodromou nach Deutschland. Der Grieche arbeitete in einem Kabelwerk, bis dieses pleite machte. Zusammen mit seiner Frau Helena Theodoridon führt er eine Trinkhalle, in der es mehr gibt als Bier und Hochprozentiges.

 Das ist Apos Welt: Apostolos Prodromou und seine Frau Helena Theodoridon vor ihrer Trinkhalle in der Klever Oberstadt. Für Menschen am Rand der Gesellschaft ist dies ein Ort, an dem es mehr gibt als halbe Liter in dunklen Flaschen.

Das ist Apos Welt: Apostolos Prodromou und seine Frau Helena Theodoridon vor ihrer Trinkhalle in der Klever Oberstadt. Für Menschen am Rand der Gesellschaft ist dies ein Ort, an dem es mehr gibt als halbe Liter in dunklen Flaschen.

Foto: Gottfried Evers

Der Mann stellt sich breitbeinig vor den Tresen. Was die Kommunikation betrifft, so beschränkt man sich in dem Laden auf das Wesentliche. "Wie isset?" "Et muss. Gib mir mal einen von den Kurzen". Der Kurze ist ein Jägermeister. Die 0,2 Liter schüttet der Mann in den Kopf, bis nur noch Luft in der Flasche ist und knallt diese auf die Theke. Auf der anderen Seite der Holzplatte schaut Apostolos Prodromou zu. Er ist Grieche, 56 Jahre alt und lebt seit 1965 in Deutschland. Derzeit führt er eine Trinkhalle in Kleve. "Apo's Welt" steht über dem Eingang. Neben einem Turm von Süßigkeiten liegt sein Tablett, auf dem eine griechische Nachrichtensendung läuft.

Prodromous Standpunkt zur Krise in Griechenland lässt wenig Interpretationsspielraum zu. "Ich hätte auch mit Nein gestimmt", sagt er. Warum? "Der kleine Mann soll dafür bluten, wofür unfähige Politiker verantwortlich sind. Das Spardiktat, das größtenteils Herr Schäuble mit zu verantworten hat, darf man nicht annehmen." In seinen Worten schwingt ein Vorwurf mit, einige Deutsche seien undankbar. Die Aufbauleistung der Griechen in den 60er und 70er Jahren findet heute kaum noch Beachtung. 1973 wohnten mehr als 400 000 der Südeuropäer in Deutschland. Auch der Vater von Prodromou war Gastarbeiter. Die Familie lebte in Duisburg-Hochfeld. Zehntausende arbeiteten im Ruhrgebiet. "Auf unserer Straße wohnten nahezu nur Griechen", sagt Prodromou. Sein Vater arbeitete bis zur Rente in einem Kabelwerk. Er selbst hörte dort 1993 auf. Der Betrieb musste schließen. Jetzt lebt sein Vater wieder in Griechenland. Er ist dement, wird gepflegt, erhält 900 Euro Rente und kommt nicht an sein Geld. Die Rente wird überwiesen, 60 Euro darf er täglich ziehen. "Es wird nur bei den Armen gespart. In meiner Verwandtschaft gibt es etliche, die mit 400 Euro Rente auskommen müssen. Wie viel will man denen noch wegnehmen?"

Während des Gesprächs reicht Apostolos Prodromou reichlich Obergäriges über die Theke. In seinem Laden trinkt man aus Flaschen und sitzt auf Gartenmöbeln aus Plastik. Für Milieustudien ein geeigneter Ort. Mit seinem Kiosk leistet er heute noch einen kleinen Beitrag hin zu einer besseren Gesellschaft. "Das hier", sagt der 56-Jährige mit einer ausladenden Handbewegung, "das hier ist ein sozialer Brennpunkt. Einige leben seit Jahrzehnten von Hartz IV. Es ist besser, wenn sie hier sind und zusammen den Tag verbringen, als auf dumme Gedanken zu kommen." Zusammen mit seiner Frau Helena Theodoridon (52) kümmert er sich um seine Kundschaft. Sie gehen mit ihnen zum Arzt, zum Amt, besuchen sie im Krankenhaus und bringen ihnen Wäsche. Die Trinkhalle ist mehr als eine Bierbörse. Es ist eine Sozialstation.

Seine Kundschaft ist beim Thema Griechenland nahezu einer Meinung. Unter Mitwirkung diverser Spirituosen werden die Schlagzeilen eines großen Boulevardblatts lautstark durch die Klever Oberstadt posaunt. Apo's Welt gilt nicht als erste Instanz für Stilfragen. Aber es geht gesittet zu. Kleves Ordnungsamtsleiter Ralph van Hoof bestätigt die Aussagen des Wirts: "Da haben wir ordnungsbehördlich überhaupt keine Probleme. Da ist es ruhig."

Helena Theodoridon betritt den Laden. Sie hat schlechte Nachrichten aus der Heimat. Eine Verwandte ist krank. Verbandsmaterial, Medikamente und Bettwäsche müssen zügig geschickt werden. Die Versorgung mit lebenswichtigen Dingen funktioniert nicht mehr. "Sie können auch keinen Arzt bezahlen", sagt die 52-Jährige. Die 64-jährige Cousine ihrer Mutter ist vor zwei Wochen gestorben, weil sie nicht rechtzeitig ins Krankenhaus kam. Es gab keinen Krankenwagen, der sie abholen konnte. Helena Theodoridon ist Arzthelferin und auch sie hätte ihr Kreuz bei "Oxi" gemacht: "Wir hatten doch keine Wahl." Die Zustände in ihrer Heimat sind katastrophal. Wälder werden gerodet, um mit dem Holz zu heizen, Schulen geschlossen. Die Lebenshaltungskosten, so die Frau, seien höher als in Deutschland. Ein Liter Milch kostet 1,40 Euro. Helena Theodoridon ist bewusst, dass sich in Griechenland einiges ändern muss: "Wenn ich über meine Verhältnisse lebe, ist Sparen angesagt. Aber was soll ich sparen, wenn ich davon nicht mehr leben kann."

Kiosk-Besitzer Apostolus Prodromou unterstützt die neue Politik von Alexis Tsipras und Ex-Finanzminister Giannis Varoufakis. Endlich mal welche, die nicht klein beigeben und für ein Volk kämpfen, das auf die Unterstützung von Europa angewiesen ist. "Hat Deutschland nicht auch schon mehrmals von einem Schuldenschnitt profitiert? Ich sehe und fühle mich als Europäer. Es muss uns geholfen werden. Denn das haben wir auch schon getan."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort