Kreis Kleve Wenn die Demenz den Alltag bestimmt

Kreis Kleve · Viele Angehörige pflegen ihre dementiell erkrankten Eltern oder Ehepartner zuhause. Ein 24-Stunden-Job, der körperlich und emotional extrem fordert. Gespräche in Selbsthilfegruppe tun gut. Fachfrauen geben Tipps.

Zum Lachen ist den Männern und Frauen, die sich die jüngsten Erlebnisse mit ihren betagten Angehörigen erzählen, schon lange nicht mehr zumute. Obwohl es schon Situationen gibt, die von außen betrachtet ziemlich komisch sind. Und ab und zu, gibt eine Tochter zu, bricht sich durchaus mal ein für den Moment befreiendes Lachen Bahn. Die Leute, die um einen großen Tisch im Seminarraum des Kalkarer St.-Nikolaus-Hospitals herum sitzen, gehören der Angehörigen-Selbsthilfegruppe Demenz an. Einmal im Monat treffen sie sich zum Austausch. Beim letzten Termin durfte die RP dabei sein.

Unter den Ehemännern, Töchtern und Schwiegerkindern, die sich hier begegnen, sind solche, die der Gruppe seit Jahren angehören, und solche, die neu dazugestoßen sind. Sie alle eint, dass sie erheblich gefordert sind durch die Pflege und Betreuung eines dementiell veränderten Menschen. So nennen Fachleute die meist älteren Patienten, die zum Beispiel an der Alzheimerschen Krankheit leiden. Sie leiden nicht allein - ihre Angehörigen haben es kaum einfacher. So wie Horst Zühlke und Tochter Kerstin Pahl aus dem Kreis Wesel. Beide kümmern sich Tag und Nacht um ihre schwer erkrankte Ehefrau und Mutter.

"Unsere Situation ist im Moment ganz schwierig", sagt die Friseurin, die mit Arbeit und fast erwachsenen Kindern genügend zu tun hätte. Aber sie unterstützt, soviel sie kann, ihren Vater, der noch nie daran dachte, seine Frau von fremden Leuten versorgen zu lassen. "Meine Mutter schläft kaum noch, zieht sich mitten in der Nacht an und geistert durchs Haus. Mal will sie nicht gewaschen werden, mal die dritten Zähne oder die Windel nicht tragen. Weil die Motorik nicht mehr richtig funktioniert, haut sie uns, obwohl sie uns wahrscheinlich streicheln möchte. Seine eigene Mutter wie ein Kind in den Armen zu wiegen, damit sie sich beruhigt, das schmerzt", erklärt die Tochter.

Warum sie es dennoch tun, bisher keine Fremdpflege und erst recht keinen Heimplatz in Erwägung zogen? Horst Zühlke (75), ein Mann, der sein Leben lang auf dem Bau arbeitete und sich so auch als Rentner noch ein Zubrot verdiente, wundert sich über die Frage. "Sie ist meine Frau, ich kenne sie, seit sie 15 Jahre alt war. Sie hatte eine schlimme Kindheit, und wir haben geheiratet, sobald sie 18 war", erzählt er. Immer hätten sich die beiden umeinander gekümmert, warum solle sich das ändern, wenn einer krank sei? Die Tochter sieht das ähnlich: "Meine Mutter war immer für uns da, hat uns nie hängen lassen, jetzt möchte ich etwas zurückgeben." Das ist weit mehr als Verantwortungsgefühl, das klingt nach Liebe.

Auch Kathi Bosch aus Bedburg-Hau liebt ihren Mann, pflegte ihn anderthalb Jahre selbst. Bis auch die beste medikamentöse Einstellung seinen Zustand nicht mehr so weit beeinflussen konnte, dass seine Frau den damals noch kräftigen Mann halten konnte, wenn er weglief oder sich gegen irgendetwas wehrte. "Er lebt heute im Gocher Hildegardishaus, und dort ist er zufrieden", sagt Kathi Bosch. Natürlich sei es ein großer innerer Kampf gewesen, diese Entscheidung zu treffen, aber es sei für beide die richtige gewesen.

Die Ehefrau besucht ihren Mann jeden Tag, aber sie fürchtet nicht mehr, zusammenzubrechen. "Ich komme wieder unter Leute und tanke Kraft aus Freundschaften, die ich nicht pflegen könnte, wenn ich 24 Stunden um meinen Mann wäre", sagt sie.

Das jüngere Paar, das erstmals in der Runde sitzt, hört zu, erkennt seine eigene Situation wieder. Die Schwiegermutter ist "eine liebe Frau, die fünf Kinder allein großgezogen hat. So lange es irgend möglich sei, soll sie in der Familie leben", sagt die Schwiegertochter. Sie hat schon mehrfach erlebt, dass die alte Dame Essen versteckt, Tiefkühlkost kauft, obwohl sie keinen Gefrierschrank besitzt. Auch Grobheiten nehmen zu. Die Familie lebt von Tag zu Tag, hat noch keinen Plan, wie es weitergehen könnte. Klar ist, dass nichts besser werden wird, denn dementielle Erkrankungen schreiten fort. "Kein Betroffener hat eine günstige Prognose", sagt Josefa Fischer, die heute Chefin des Pfalzdorfer St.-Marien-Hauses ist und früher die Demenz-Station am Nikolaus-Hospital leitete. Mit Susanne Döring organisiert sie das an die Demenzstation des Kalkarer Krankenhauses angeschlossene Demenztelefon (0800 400 48 00, montags bis freitags von 8 bis 16 Uhr) und begleitet die Selbsthilfegruppe. "Wir können Tipps geben, wie sich Eskalationen vermeiden lassen, und weisen auf Entlastungsangebote hin", sagt sie. Die Fachfrauen wollen die Pflegenden insbesondere darin unterstützen, sich bei Bedarf Hilfe zu holen. Mutlose, erschöpfte Angehörige dienen auf Dauer auch den Kranken nicht. Im Frühstadium kann eine Tagespflege eine gute Entlastung sein. "Aber da gibt es viel zu wenig Plätze", hat Kerstin Pahl festgestellt.

Was alle Angehörigen sagen: Sie seien offener und selbstbewusster im Umgang mit der Krankheit geworden. "Ich gehe mit meiner Mutter durch die Straßen, auch wenn sie mal wieder beunruhigende Laute ausstößt. Jeder kennt uns, und wenn sie vor dem Friseursalon sitzen möchte, dann tut sie das", erklärt Pahl. Sie erlebe viel Zustimmung und Anerkennung, sicher auch manchmal Unverständnis. "Auch über meinen Vater sagt mancher ,Hut ab'. Das tut dann gut."

(RP)
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