Kleve Wer nicht denken will, fliegt raus'

Kleve · Gestern wurde die Sommerausstellung im Museum Kurhaus mit neun zeitgenössischen Künstlern eröffnet, die auf die laufende Beuys-Ausstellung reagieren.

 Professor Harald Kunde (links) und Kurator Heinrich Dietz in der Installation von Barthélèmy Toguo.

Professor Harald Kunde (links) und Kurator Heinrich Dietz in der Installation von Barthélèmy Toguo.

Foto: Gottfried Evers

Es knirscht unter der Schuhsohle. Ganz leicht. Der Fuß sinkt ein, rutscht, wenn man eine unvorsichtige Bewegung macht. Man muss vorsichtig gehen in diesem tiefen schwarzen Sand aus groben Körnern, der den Boden im Doppelsaal des Museums füllt. Schwarz wie Teile der Küste Korsikas, schwarz wie man sich einen fremden Planeten vorstellt, aus dessen dunklem Boden Felsformationen wachsen. Fremd sehen die Felsen aus, die da still zwischen den schwarzen Körnern liegen, wie aus einer fernen Zeit zurückgefallen. Alice Channer, britische Bildhauerin mit deutschen Wurzeln, hat die Skulptur geschaffen. Vorbild für diese "Felsen" ist ein Betonbrocken, den Channer gefunden hat.

 Alice Channer in ihrer Raumskulptur. RP-Foto: evers

Alice Channer in ihrer Raumskulptur. RP-Foto: evers

Foto: Evers Gottfried

Dieser Brocken wurde eingescannt, digital verformt und für eine CAD-Fräse neu berechnet, die daraus ein Gussmodel für die "Felsen" fräste. Channer schuf die vier "Felsen" aus verschiedenen Materialien, die sie diagonal auf die schwarzen Körner gebettet in den Raum legt: Einer aus Glasfaserbeton, einer aus Aluminiumbronze und nicht zuletzt zwei schwere aus Corten-Stahl - jeder dieser Brocken in seinem eigenen Aggregatzustand: Corten-Stahl rostend, Aluminium silberfarbig und weißgrau der Glasfaserbeton. Auch der körnige Sand ist technisches Material: ein Kunststoff-Recycling-Produkt mit schier unendlicher Lebensdauer: Polystyrol Regranulat. Das alles fügt die Britin zu einer faszinierenden, erlebbaren Raumskulptur, in die jeder Besucher eintreten und Teil von ihr werden kann. Aber Achtung. Es knirscht unter den Füßen und es kann bei unvorsichtiger Bewegung sehr rutschig sein . . .

Gestern wurde die vierte Sommerausstellung des Museums Kurhaus von Kleves Museumsdirektor Prof. Harald Kunde eröffnet. Seine Sommerausstellungen fügen zu einem Thema mehrere Künstler zusammen, die irgendwie auf das Thema reagieren. In diesem Jahr heißt es nach Beuys "Wer nicht denken will, fliegt 'raus". Es sind sehr stille, zarte Räume entstanden, Skulpturen, die wie Channers den Besucher gleich mitnehmen in ihre Welt, leise Arbeiten und laute. Neun Künstler hat Kunde für Kleve gewonnen.

Gleich im Eingang wird der Besucher von einem rhythmischen Gesang empfangen, der dem Klever Museumsfreund irgendwie bekannt vorkommt: 1995 griff Martin Kippenberger die Beuys-Sequenz "JaJaJa-NeeNeeNee" auf, sprach sie nach und legte einen tanzbaren Rhythmus darunter, der durch das Treppenhaus des Kurhauses klingt. "Beuys Best" heißt dieser Rhythmus, wo man mit muss.

Dazwischen lassen laute Schläge das Haus erzittern, als ob jemand mit einem Fäustel gegen eine Wand wummert. Es ist die wuchtige Arbeit des Tschechen Kristof Kintera, in der ein Junge, ein Kind oder eine kleine Skulptur mit Jeans und Kapuzenpulli dem Publikum den Rücken zudreht und mit seinem Kopf heftig gegen die Wand hämmert, vor der er steht. "Revolution" heißt dieses sinnlose mit dem Kopf durch die Wand wollen. "Eine ernüchternde Bilanz aller Utopien", kommentiert Kunde die Arbeit des Künstlers, der den Umbruch des Ostblocks als Jugendlicher erlebte. Allein steht er in einem der schmalen Räume, dessen Fenster verbaut wurde und der im Klang des Kopf-Gehämmers unendlich kahl wirkt.

Still, wunderbar ausgeglichen dagegen der Raum von Thea Djorjadze, die lediglich wenige Vitrinen in den Raum stellte. Gläsern wie ein Schneewittchensarg auf bauhausgleichen schmalen, grafischen Stahlfüßen gestellt die eine, die andere hochkant mit einigen darin - und hier die Reminiszenz zu Beuys - abgelegten Holzscheiten. Die Längswand vor den Fenstern ist von einer duftigen Gardinenfront verhängt. Oben lädt Hito Steyerl ein, auf einer ausgedehnten Sitzlandschaft aus Sandsäcken ihren Vorträgen zu lauschen. Einer beginnt mit dem altbekannten Satz "im Grunde genommen ist heute jeder ein Künstler". Sie ist auf der Spur des Gewaltmonopols, sucht den Weg einer Kugel, der ihre Freundin, die PKK-Kämpferin Andrea Wolf, tötete und landet bei einem Waffenproduzenten, der ihre Kunst förderte. "Das ist eine künstlerisch sehr radikale Position, die wir hier zeigen", sagt Kunde. Es lohnt, die Zeit für Hito Steyerl zu investieren - nicht nur hören-, auch sehenswert.

Der Kameruner Barthélèmy Toguo füllt einen Raum mit kantigen Regalen, auf denen menschliche Büsten aus Zedernholz den Raum zu füllen scheinen. "Ordnung", steht darauf, "Balkanrute", "Irak", "IS", "PKK" oder auch "Mama Merkel". , Es sind die Druckstöcke für Auflagen, die auf die Wand gepinnt wurden.

Philosophisch still präsentiert sich Erwin Wurm mit seinen Denkern im oberen Raum. Jeder der gezeichneten Menschen in spezieller Haltung hat einen Philosophen im Kopf. Harm van Dorpel schließlich lässt seine Arbeiten im Computer sich entwickeln - mit eigener DNA- und Kreuzungsgeschichte.

(RP)
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