Niederrhein "Wir haben ein Glaubwürdigkeitsproblem"

Niederrhein · Katholiken wie Protestanten kämpfen mit dem gleichen Problem: der steigenden Zahl von Kirchenaustritten.

 Katholiken wie Protestanten kämpfen mit dem gleichen Problem: der steigenden Zahl von Kirchenaustritten.

Katholiken wie Protestanten kämpfen mit dem gleichen Problem: der steigenden Zahl von Kirchenaustritten.

Foto: Matzerath, Ralph (rm-)

Auf der kürzlichen Tagesordnung ihrer Herbsttagung hatten die deutschen Bischöfe ein brisantes Thema. Kirchenaustritte. Die Zahlen sind in Wahrheit alarmierend: Allein im Bistum Münster erklärten im vergangenen Jahr 10.112 Katholiken ihren Austritt, das waren 4450 (78 Prozent) mehr als im Vorjahr. Im selben Zeitraum wurden 13.905 Menschen getauft, 410 weniger als 2012.

Die aktuelle Katholikenzahl in der Diözese lag Ende vergangenen Jahres bei 1,93 Millionen, das sind gut 15.000 weniger als ein Jahr zuvor. Gravierend waren die Zahlen im Kreisdekanat Wesel: Der "Fluchtbewegung schlossen sich 1478 Menschen an, 2012 waren es 798. Im Dekanat Kleve verließen 852 die Kirche, 461 waren es im Jahr zuvor.

Der Bischof von Münster, Dr. Felix Genn, zeigt sich besorgt: "Wir haben als katholische Kirche in Deutschland ganz offensichtlich ein massives Glaubwürdigkeitsproblem." Die Diskussion um den Bau des Bischofshauses in Limburg und die daraus folgende Diskussion über die Kirchenfinanzierung in Deutschland, dazu in den Jahren zuvor der Missbrauchsskandal.

Und jetzt gibt es eine weitere Welle: Seit die Banken darüber informierten, dass ab 2015 die Kirchensteuer auf Kapitalerträge automatisch in einem anonymisierten Verfahren an die Finanzämter abgeführt werden, hagelt es wieder Austritte. Die Steuer wird nicht erhöht! Eigentlich wird sich nur der Einzugsweg ändern.

Aber allein im Amtsgerichtsbezirk Rheinberg gab es in diesem Jahr schon 385 Austritte aus der katholischen und evangelischen Kirche. Im ganzen vergangenen Jahr waren es 451. Und regional durchaus unterschiedlich. In Rheinberg, so der im Kirchenvorstand der St.-Peter-Gemeinde zuständige Finanz- und Verwaltungsfachmann Werner Fasse, kehrten im vergangenen Jahr 76 Katholiken der Kirche den Rücken, bis Mitte dieses Jahres waren es erst 32.

Betroffen ist nicht nur die katholische Kirche. Von vier Austritten aus der evangelischen Kirche spricht Superintendent Hans-Joachim Wefers. Je Woche. Allein in Xanten. Seit die Bankenbenachrichtigungen ins Haus flatterten. Auch der Moerser Superintendent Ferdinand Isigkeit berichtet von eben dieser Tendenz.

Allerdings sehen beide - mit Ausnahme einiger seltsam verfassten Banktexte - keinen originären Zusammenhang von Austritten und Geldfragen. "Offenbar trennten sich Menschen von der Kirche, die ihr auch zuvor schon fern waren und jetzt nur an die Kirchensteuer erinnert wurden", sagt Wefers. Das Problem sei allerdings, dass diese Verluste nicht aufzufangen sind.

Isigkeit: "Wir haben ohnehin mehr Beerdigungen als Taufen; und selbst die nicht unerhebliche Zahl von Eintritten bringt uns nicht mehr auf den gleichen Level." Das führt zum Spagat: "Wir werden nicht umhin kommen zu sparen", warnen die beiden Pfarrer. Das werde dann hautnah zu spüren sein - in der Diakoniearbeit, in Kindergärten, in den Gemeinden... Gleichzeitig müsse Kirche sich zeigen und glaubwürdig sein. Das fängt schon im Kleinen an: "Es gibt Christen, die ihre Kinder nicht taufen lassen, weil sie die Feier nicht bezahlen können", nennt Wefers ein Beispiel. "Denen bieten wir jetzt gemeinsame Taufen an - mit anschließenden Feiern in Gemeindehäusern."

Das Bistum Münster geht derweil in die Offensive. Es hat unterdessen die beiden Professoren Heribert Meffert (emeritierter Direktor des Instituts für Marketing am Marketing Centrum Münster - MCM) und Peter Kenning (Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an der Zeppelin Universität Friedrichshafen) mit einer systematischen Analyse der Zufriedenheiten und Unzufriedenheiten der Gläubigen im Bistum Münster beauftragt.

Ziel der Untersuchung ist unter anderem, verlässlichere Information über die Ursachen der vermehrten Kirchenaustritte und der sinkenden Zahlen etwa bei Gottesdienstbesuchern, kirchlichen Eheschließungen oder Taufen zu erhalten. Hiervon ausgehend sollen Ansatzpunkte entwickelt werden, mit welchen Maßnahmen diesen Tendenzen im Bistum Münster begegnet werden kann

Den Prozess umzukehren, das weiß Genn, wird allerdings länger dauern. Und in blinden Aktionismus verfallen, nutze auch nichts. Aber der Bischof sagt auch: "Wir müssen eine Kirche sein, die die Charismen und Begabungen aller Gläubigen aufsucht und fördert; wir müssen eine Kirche sein, die für die Menschen da ist - gerade für diejenigen am Rande unserer Gesellschaft. Es soll Spaß machen, Christin und Christ zu sein."

(RP)
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