Judith Pölka Zehn Monate in Indien und zurück

Kleve · In den Medien ist Indien für Frauen ein Schreckgespenst. Die 20-jährige Issumerin Judith Pölka arbeitete zehn Monate in einem christlichen Kinderheim, 140 Kilometer von Bangalore entfernt. Ein Rückblick auf eine Reise in die Fremde.

 Typisch Indien: Judith Pölka in der Großstadt Bangalore. Die Issumerin engagiert sich dort für Waisenmädchen.

Typisch Indien: Judith Pölka in der Großstadt Bangalore. Die Issumerin engagiert sich dort für Waisenmädchen.

Foto: privat

In den vergangenen Tagen und Monaten gab es immer wieder schlimme Nachrichten aus Indien. Die Rede ist von Massenvergewaltigungen und Mädchen die öffentlich erhängt wurden. Du warst für zehn Monate in Indien. Warum hast Du Dir dieses Land ausgesucht?

Judith Ich wollte schon seit acht Jahren nach Indien. Ich weiß gar nicht genau, wie das angefangen hat. Ich denke, mit Bollywoodfilmen. Ich fand die Kleider und Bilder in den Filmen immer sehr farbenfroh. Das Interesse hat sich gesteigert, und ich habe Bücher über Indien gelesen.

Zum Beispiel?

Judith In einem Buch ging es um eine Ausländerin, die ein Kinderheim gegründet hat. Dort habe ich zum ersten Mal gelesen, dass Mädchen in Indien geringer behandelt werden als Jungs. Da habe ich mir fest vorgenommen, nach dem Abitur nach Indien zu gehen, um einen Einblick zu bekommen und dort zu helfen.

Was hast Du konkret gemacht?

Judith Ich war zehn Monate lang im Rahmen des Internationalen Jugend-Freiwilligen-Dienstes im Kinderheim Girls' Home Kollegal. Das liegt in Südindien, etwa 140 Kilometer von Bangalore entfernt. Meine Aufgabe war es, Kinder zu unterrichten und sie zu beschäftigen.

Welche Kinder leben im Waisenhaus, in dem Du warst?

Judith Die Kinder sind zwischen fünf und 18 Jahre alt. Sie kommen aus Familien, in denen ein Elternteil fehlt oder in denen miserable Lebensbedingungen herrschen, weil die Eltern keine Arbeit haben oder der Vater Alkoholiker ist.

Das Kinderheim war nur für Mädchen. Hast Du einen Unterschied gemerkt, wie Jungen und Mädchen in Indien behandelt werden?

Judith Es ist schon so, dass Mädchen geringer geachtet werden. Das liegt unter anderem daran, dass sie für ihre Eltern teuer sind. Es ist immer noch so, dass Eltern ihrer Tochter bei einer Hochzeit eine Mitgift mitgeben.

Denken alle Inder so über Mädchen?

Judith Ich würde sagen, das ändert sich gerade. Ein bisschen ist Indien im Umbruch. In den vergangenen zehn Jahren hat sich schon einiges verändert. Der Staat hilft mehr. Familien, die ein Mädchen haben, bekommen mehr Geld, und der Staat baut auch Waisenhäuser.

Das Waisenhaus, in dem Du gearbeitet hast, ist christlich geprägt. War das ein Problem in einem Land, indem die meisten dem Hinduismus anhängen?

Judith Das Kinderheim gibt es bereits seit 120 Jahren. Und auch wenn die Kinder meistens aus hinduistischen Familien kommen, so sind die Eltern einfach froh, dass ihre Kinder eine gute Unterkunft haben und eine Schulausbildung bekommen. Die Hindus leben mit den Christen in Frieden, solange sich keiner zum Christentum bekehrt.

Die schrecklichen Nachrichten von den Massenvergewaltigungen und den Mädchen, die aufgehängt wurden, wie hast Du davon erfahren?

Judith Wir haben davon gar nichts mitgekriegt. Indien ist ein großes Land. Es gibt einen Unterschied zwischen Nordindien und Südindien. Südindien ist mehr christlich geprägt, während im Norden die Selbstjustiz stärker ausgeprägt ist. Außerdem waren die großen Städte wie Mumbai und Delhi hinsichtlich der Straftaten mehr betroffen.

Wie hast Du reagiert, als Du später davon hörtest?

Judith Ich habe mit dem Ehepaar gesprochen, das vor Ort mein Ansprechpartner war, die Hauseltern. "Hast du jetzt Angst?", wollte die Hausmutter von mir wissen. Sie hatte kein Problem damit, mich und eine Freundin alleine loszuschicken. Wir sind dann auch mal ohne Begleitung herumgereist.

Keine Angst gehabt?

Judith Wir hatten einmal das Gefühl, verfolgt zu werden. Aber da ist nichts passiert. Gott hat uns bewahrt. Wir hatten uns zu unserer Sicherheit einige Regeln auferlegt.

Die wären?

Judith Wir waren immer nur in großen Menschenmassen unterwegs. Wäre etwas passiert, hätten wir um Hilfe geschrien. Wir haben auch unsere Kleidung an indische Verhältnisse angepasst. Statt enger Jeans und engen T-Shirts haben wir lange Tunikas angezogen und Tücher, die die Brust verdecken. Dass wir die landestypische Kleidung trugen, drückte auch Respekt aus.

Gab es auch schwierige Zeiten?

Judith Es war häufig nicht leicht. Ich habe fast nur mit Einheimischen zusammen gearbeitet, deren Muttersprache ich nicht verstanden habe. Ich war ja dafür da, um den Kindern Englisch beizubringen. Die Sprache nicht zu verstehen, da habe ich mich oft einsam gefühlt. Einen Tag in der Woche hatten wir einen "day off", einen freien Tag. Der reichte aber oft nicht, um Kraft zu tanken für die nächste Woche.

Was nimmst Du als Erfahrung aus den zehn Monaten mit?

Judith Ich finde es voll krass, mit wie viel weniger man leben kann. Wir leben hier wirklich im Überfluss. Obwohl die Menschen in Indien so wenig haben, sind sie so selbstverständlich gastfreundlich. Davon will ich mir was abgucken. Außerdem weiß ich jetzt erst richtig, wie gut ich es habe. Es ist so erschütternd, die vielen Kinder zu erleben, die ohne Familie aufwachsen.

Wie geht es für Dich weiter?

Judith Indien hat mir eine andere Perspektive geschenkt. Das eine ist eine tiefere Verwurzelung im Glauben. Das andere meine Berufswahl. Ich habe die akute Not an Englischlehrern gesehen. Deswegen möchte ich das gerne studieren.

DIE FRAGEN STELLTE BIANCA MOKWA.

(RP)
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