Kleve Zeitzeugen aus Estland zu Gast in Kleve

Kleve · Sie haben Konzentrationslager und Ghettos überlebt. Elf russischsprachige Esten besuchen derzeit die Schwanenstadt. Bürgermeistern Sonja Northing empfing die Gäste gestern im Rathaus.

 Bürgermeisterin Sonja Northing (M.) empfing die Holocaust-Überlebenden im Klever Rathaus. Die 93-jährige Aino Tehvard (hinter Northing) hielt einen bewegenden Vortrag über ihre schrecklichen Erlebnisse im Konzentrationslager Tartu.

Bürgermeisterin Sonja Northing (M.) empfing die Holocaust-Überlebenden im Klever Rathaus. Die 93-jährige Aino Tehvard (hinter Northing) hielt einen bewegenden Vortrag über ihre schrecklichen Erlebnisse im Konzentrationslager Tartu.

Foto: Gottfried Evers

Das Grauen, das diese elf Esten erlebten, ist kaum in Worte zu fassen. Als Kinder machten sie in Konzentrationslagern und Ghettos schreckliche Erfahrungen mit den Deutschen. Jetzt machten sie sich auf zu einer Reise ins Land ihrer damaligen Peiniger, um Versöhnung zu erfahren. Untergebracht in der Wasserburg Rindern, besuchen sie in den kommenden Tagen verschiedene Städte im Kleverland, um mit den Menschen hier ins Gespräch zu kommen und die deutsche Grenzregion kennenzulernen.

Bürgermeisterin Sonja Northing empfing die betagten Gäste im Klever Interimsrathaus. Die heute 74- bis 93-Jährigen werden die schlimmen Erlebnisse, die ihnen in ihrer Jugendzeit widerfahren sind, nie vergessen. Umso wichtiger ist es für sie, über das Erlebte zu sprechen, ihre Geschichte zu erzählen. Das hilft ihnen, das Grauen zu verarbeiten. Northing betonte, wie wichtig es ihr sei, dass sich die Gäste in Kleve wohlfühlen. Gefühlvoll warb die Bürgermeisterin um Vertrauen: "Ich habe lange darüber nachgedacht, was ich ihnen sagen soll. Ich bin froh, dass sie hier sind und ich schäme mich für das, was passiert ist. Ich hoffe, dass wir ihnen zeigen können, dass wir heute in einem anderen Deutschland leben, dass wir die Menschen achten und die Menschen lieben", sagte Northing. Sie berichtete den Gästen von den Gedenkveranstaltungen zur Reichpogromnacht, die in Kleve eine lange Tradition haben.

Still wurde es im Rathaus, als die 93-jährige Aino Tehvard auf deutsch einen Vortrag hielt, über das, was ihr, ihrer Familie und ihren Freunden im Konzentrationslager in Tartu widerfahren ist. Nur schwer zu ertragen war ihr Bericht über die deutschen Soldaten, die jeden Abend in die Baracken kamen, um Menschen herauszuholen und diese dann zu erschießen. Über die unmenschlichen hygienischen Zustände im Lager Tartu. Über die Lagerleiter, die nach dem Krieg einer Verurteilung entkamen, indem sie in die USA oder nach Australien flohen.

Im Jahr 1964 wurden zum Gedenken aller, die im Konzentrationslager Tartu hingerichtet wurden, am ehemaligen Panzergraben ein Monument errichtet. An der zwölf Meter langen und vier Meter breiten Steinwand gibt es Relieffiguren der Hingerichteten. Vor dem Denkmal liegt eine Steinplatte mit dem mahnenden Text: "Menschen, seid wachsam, hier wurden von den Faschisten 12.000 Menschen ermordet."

Es ist bereits das zehnte Mal, dass eine Gruppe von Holocaust-Überlebenden mit Unterstützung des Maximilian-Kolbe-Werks zu Gast in der Schwanenstadt ist. Beate Weghake, Bereichsleiterin der Wasserburg Rindern, hat für die Gäste aus Estland ein buntes Programm zusammengestellt. So werden die Besucher in den kommenden Tagen die Städte Rees, Kalkar, Xanten, Kevelaer und Nimwegen besuchen. Bei ihren Ausflügen soll die Gruppe auch erfahren, wie ein neues Zusammenleben in Europa aussehen kann. Zahlreiche Begegnungen mit Bürgern aus Kleve und aus den Nachbarorten sind vorgesehen. Unter anderem anderem werden die Gäste mit Krankenpflegeschülern und einer Seniorengruppe Dialoge führen, die unter der Überschrift "Zeitzeugengespräche" stehen.

(RP)
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