Altweiber Von wegen schwaches Geschlecht

Düsseldorf · Nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht ist plötzlich wieder die Rede vom schutzbedürftigen Geschlecht. Dabei waren Frauen in jener Nacht nicht schwach, ihre Lage war aussichtslos.

Eine verkleidete Frau an Altweiber.

Eine verkleidete Frau an Altweiber.

Foto: Christoph Reichwein

Weiber an die Macht! Zumindest gespielt galt dies am Donnerstag wieder. Doch wenn Frauen kurz nach elf die Rathäuser eroberten, wenn sie auf alle Schönheitsgebote pfiffen, sich zur Möhne machen, symbolschwer Krawatten einkürzten und die Räume der Stadtoberen einnahmen, dann war das diesmal keine Brauchtumsroutine.

Nach Jahren des gepflegten Überdrusses an allem Feministischen ist die weibliche Machtergreifung plötzlich wieder ein bemerkenswertes Zeichen. Denn seit den Ereignissen der Silvesternacht in Köln und anderswo ist von Frauen vor allem als Opfer die Rede. Sie sind wieder das schwache Geschlecht, die schutzbedürftigen Wesen, die sich doch besser nicht allein raustrauen sollten. Zumindest abends nicht. Man kann nie wissen.

Falsche Vorstellung verfestigt sich

Und je länger darüber diskutiert wird, was Frauen nach Köln alleine tun oder lassen sollen, können, dürfen, desto mehr verfestigt sich die Vorstellung von "der Frau" als wehrlosem Opfer. Es verschieben sich die Augenmerke in einer Debatte, die auch deswegen immer weitergeht, weil darin verdeckt so viele ideologische Kämpfe ausgetragen werden. Statt sich also in erster Linie darüber zu empören, dass mitten in deutschen Großstädten massenweise Gesetze gebrochen werden konnten, werden die Ereignisse mehr und mehr zu einem Frauenproblem. Dann sind alte Stereotype schnell bei der Hand, und die Frau ist wieder eingesperrt in ihr Geschlecht, gefangen in Verhaltensnormen der Zurücknahme und Vorsicht, die ihr von außen diktiert werden. Angeblich, weil ihre physiologischen Voraussetzungen keine andere Wahl lassen.

Schon geben Mütter in Kleinstädten wie Oldenburg zu Protokoll, sie ließen ihre Töchter im Teenager-Alter nicht mehr allein in die Stadt. Und die Töchter selbst zeigen Verständnis. Auch eine zufällige Umfrage in Köln ergab jüngst, dass Mütter ihre Töchter nicht mehr allein shoppen lassen und sich selbst lieber Pfefferspray in den Ärmel schieben, wenn sie am Hauptbahnhof aussteigen. Die Angst ist gesät. Und so verfestigt sich das Bild der schwachen Opfer-Frau, die Waffen im Ärmel oder einen starken Mann an ihrer Seite haben sollte. Die nicht mehr selbst entscheiden darf, wann sie wohin geht, sondern Erlaubnis und besonderen Schutz benötigt. Dabei brauchen Frauen keine Verhaltenstipps, sondern Städte ohne rechtsfreie Räume. Genau wie Männer.

Chor der neuen "Frauenbeschützer"

Doch wer nicht einstimmen will in den Chor der neuen "Frauenbeschützer", wer darauf pocht, dass Frauen unterschiedlich sind, dass es schwache unter ihnen gibt und starke, genau wie unter Männern, sieht sich mit emotional aufgeladenen Beschuldigungen konfrontiert: fehlendes Mitleid mit den Opfern, mangelnde Solidarität mit den Geschlechtsgenossinnen, Herunterspielen sexueller Gewalt und so fort.

Richtig ist: Frauen sind in der Silvesternacht angegriffen geworden. Die Gewalt reichte von sexueller Übergriffigkeit bis zu mutmaßlicher Vergewaltigung, sie wurden bedrängt, beraubt, erniedrigt. Richtig ist auch: Die Täter machten sich gezielt an Frauen heran, vermutlich weil sie genau jenes Menschenbild besitzen, das Frauen zu Objekten degradiert - das sie erst im Geiste zu Opfern macht und dann in der Wirklichkeit. Die Täter konnten ihre Verbrechen begehen, weil sie viele waren, weil niemand sie hinderte, eine bedrohliche Gruppe zu bilden, weil kaum jemand den Bedrohten zur Seite sprang. Auch Männer nicht. Das waren kriminelle Handlungen, gegen die die Polizei hätte vorgehen müssen. Dass es keinen professionellen Schutz gab, ist der Skandal. Frauen waren nicht schwach in jener Nacht, ihre Lage als eingekesselte Minderheit war aussichtslos.

"Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht", hat die französische Existenzialistin Simone de Beauvoir geschrieben. Natürlich gibt es biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau, doch entscheidend für das Selbstempfinden von Menschen ist, welche Rollen die Gesellschaft ihnen zuweist. Die Frauenbewegung hat schon einmal dafür gekämpft, die überfällige Debatte über Gewalt gegen Frauen nicht auf "den Täter auf der dunklen Straße" zu verengen und daraus auch noch Verhaltensregeln abzuleiten, die die Freiheit von Frauen beschneiden, sondern die viel häufigere häusliche Gewalt in den Blick zu rücken. Und all die Delikte, die bis heute als Bagatelle gelten und von Männern verübt werden, die ihre Werte nicht aus anderen Kulturkreisen importiert haben. Denn darin spiegelt sich der Grad an Verachtung, die strukturelle Unterdrückung wider, mit der Frauen noch immer kämpfen.

Muskelkraft an sich ist ohne Bedeutung

Auf der Domplatte waren Frauen körperlich unterlegen, viele Männer wären es auch gewesen. Entscheidend ist, was die Gesellschaft daraus ableitet: ob sie sich auf die Verteidigung ihrer Busse, Züge, Plätze konzentriert und aufrichtig sexuelle Gewalt in allen sozialen Schichten thematisiert. Oder ob sie sich auf die Angstszenarien stürzt und Frauen einredet, sie gehörten eigentlich doch nach Hause.

Ist nur lange genug von schutzbedürftigen Wesen die Rede, werden Frauen sich auch als solche empfinden - und tatsächlich daheim bleiben. Oder das ihren Töchtern empfehlen - in besten Absichten -, statt weiter wütend die Verteidigung des öffentlichen Raums für alle zu fordern.

Frauen haben weniger Muskelkraft als Männer. Das ist ein Fakt. Aber er ist an sich ohne Bedeutung. Entscheidend ist, dass diese Definition von Stärke und Schwäche in einer aufgeklärten Gesellschaft für die Freiheit von Frauen keine Rolle spielen darf. Es darf keine Frage der Muckis sein, ob eine Frau alleine ausgeht.

Dafür muss der Staat sorgen, dafür muss die Gesellschaft sorgen, Frauen wie Männer. Darum geht es heute, wenn sich der Karneval auf die Straßen verlagert und mit einer Machtdemonstration der Frauen beginnt. Es ist der alte Spaß mit neuer Brisanz.

(dok)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort