Im Streit den Bruder erdrosselt Angeklagter weint bei den Plädoyers

Köln · Der Prozess gegen einen 35-Jährigen, der seinen jüngeren Bruder erdrosselt haben soll, geht vor dem Kölner Landgericht in die Endphase. Der Staatsanwalt fordert siebeneinhalb Jahre Haft.

 Der Angeklagte mit Anwalt Bernhard Scholz

Der Angeklagte mit Anwalt Bernhard Scholz

Foto: Hauser

Luis K. (Name geändert) weint still, während sein Verteidiger Bernhard Scholz sein Plädoyer hält. "Die Tat ist schlimm", sagt der Anwalt, "aber sie ist in einer völlig eskalierten Situation geschehen." Jahrelang schon hatte der Streit zwischen den Geschwistern geschwelt, Luis K. war der Außenseiter in der Familie — zwei Schwestern und der drei Jahre jüngere Bruder lebten in der Schweiz, die Eltern in Hongkong.

Die älteste Schwester sitzt dem Angeklagten gegenüber. Ihr Anwalt sagt am vorletzten Prozesstag: "Die Schwestern sind vollkommen fassungslos. Er scheint nicht zu erkennen, was er seiner Familie angetan hat." Luis K. habe sich im Prozess so verhalten, wie er es immer schon getan habe: "Er gibt anderen die Schuld und hinterfragt sein eigenes Verhalten überhaupt nicht." Er sei voller Selbstmitleid, echte Reue nicht spürbar.

Angeklagter wurde als aufbrausend beschrieben

Siebeneinhalb Jahre Haft wegen Totschlags hatte der Staatsanwalt kurz vorher gefordert. "Nichts kann Anlass genug sein, seinem Bruder das Leben zu nehmen", sagte er. Er habe Zweifel daran, ob der Bruder Luis K. in der Tatnacht tatsächlich derart provoziert habe, wie der Angeklagte behauptet. "Der Angeklagte wurde von seinen Schwestern und Ex-Freundinnen als aufbrausend und konfliktscheu beschrieben — der Bruder als friedliebend, der sich bei Streits immer zurückgezogen habe."

Einer psychiatrischen Sachverständigen gegenüber hatte der 35-Jährige immer wieder gesagt, wie leid ihm alles tue. Im Prozess fiel ihm das offenbar schwer. "Er ist sehr angespannt", sagt sein Verteidiger. Was alles passiert war innerhalb der Familie, die lange ein gut gehendes China-Restaurant in Köln geführt hatte, wird der Prozess nicht mehr klären können. Doch Einblicke gab es viele. Der Vater war streng, schlug die Kinder, wenn sie nicht die Leistung erbrachten, die er verlangte. Alle vier wurden zu einer gewissen Härte erzogen, besonders liebevoll ging es im Elternhaus nicht zu. Die Eltern waren fast immer im Restaurant, hatten kaum Zeit für die vier Kinder, die sich "selbst falsch erzogen haben", wie Luis K. es beschrieben hatte.

Er sei der Sensible unter der Vieren gewesen, habe schon zweimal versucht, sich umzubringen, fühlte sich nie genug geliebt von seinen Eltern, später von seinen Partnerinnen. Den Kontakt zu seinem Sohn habe er abgebrochen, weil er nicht wollte, dass der unter dem Trennungskrieg der Eltern leidet. Zuvor hatte es Gerichtsstreits um das Besuchsrecht gegeben. Im Gegensatz zu seinen Geschwistern schaffte der 35-Jährige weder Studium noch Ausbildung, immer brach er kurz vor den Abschlussprüfungen ab, arbeitete schließlich in einem Callcenter.

Luis K. lebte zuletzt allein in der Eigentumswohnung der Eltern in Niehl. Die Eltern hatten seinen jüngeren Bruder damit beauftragt, nach der Post zu sehen, die noch für die ausgewanderten Eltern ankam. Darüber entbrannte schließlich im vergangenen Herbst der Streit, der schließlich fatal endete. Am 13. November kam der Bruder aus der Schweiz nachts in die Wohnung, er war mit einer der Schwestern auf einem Konzert, wollte in seinem alten Zimmer übernachten. Weil die Briefe an die Eltern in einer Kiste lagen, soll er gedacht haben, Luis K. wolle sie wegwerfen. Deshalb hatte er ihm zwei Wochen vorher einen Brief an die Tür geklebt mit den Worten: "Du bist nur Müll, du kannst dich direkt mitentsorgen." Niemand würde um ihn trauern. Diesen Satz habe er wiederholt, mehrmals, so dass Luis K. ihn angegriffen habe. Seine Erinnerung habe erst dann wieder eingesetzt, als er auf seinem Bruder saß, die Hände noch um den Hals den 32-Jährigen. Er hatte ihn erdrosselt.

Am Dienstag wird das Urteil verkündet.

(hsr)
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