Angriff auf Henriette Reker Demokratie in Zeiten des Hasses

Düsseldorf · Hetze gegen demokratisch gewählte Politiker ist salonfähig geworden. Sie ist in der Wortwahl oft mörderisch. Bis zur schrecklichen Tat vom Samstag gegen die Kölner OB-Kandidatin Henriette Reker ist es da nur ein kleiner Schritt. Eine Analyse.

Angriff auf Henriette Reker in Köln — Demokratie in Zeiten des Hasses
Foto: dpa, hka htf

Demokratie ist etwas für Unzufriedene und Nörgler. In keiner anderen Staatsform ist es möglich, unblutig und regelgerecht eine unfähige oder unbeliebte Regierung loszuwerden. Deshalb heißt es auch häufig, dass nicht eine bestimmte Partei oder Konstellation gewählt wird, sondern umgekehrt eine Regierung abgewählt wird.

Es braucht also keine hehren Ziele, um die Demokratie aktiv zu leben. Es reicht, wenn die Personen, die den Souverän, also das Staatsvolk ausmachen, sich auf Regeln verständigen, die allen nützen. Das Grundgesetz ist dafür ein allseits geachtetes und auch effizientes Regelwerk. Es vermeidet Extreme, baut auf Ausgleich, akzeptiert die Rechte und Meinungen aller Beteiligten.

Das passt denen nicht, die für alles eine einfache Antwort haben und die nur allein gelten lassen wollen, koste es, was es wolle. Da wird im Internet mit Schmähworten und Schimpfkanonaden gegen "korrupte und unfähige Politiker" gewettert und noch nicht einmal der Absender genannt. Das wirkt wie Schüsse aus dem Hinterhalt.

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Kölner wählen einen Tag nach dem Attentat

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Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, eine engagierte und christlich geprägte Frau, machte vor Kurzem ihre Hass-Erfahrung durch Facebook-Kommentare oder Faxe öffentlich. "Ich persönlich werde Sie foltern und quälen, bis Sie nicht mehr wissen, wie Sie heißen. Ich werde Ihnen die Zunge herausschneiden." So faxte ihr jemand — vermutlich aus der rechtsradikalen Szene. Per Facebook erreichte sie die Beleidung: "Du fette, dämliche Ratte, dir fehlt eigentlich ..." und dann brach sie selbst die Fortsetzung ab, weil sie die Hass-Botschaft ihren Zuhörern in einem Video nicht zumuten wollte.

Die Erfahrungen der Grünen-Politikerin teilen viele in Berlin, Düsseldorf und inzwischen selbst in der Kommunalpolitik. Menschen, denen eine Entscheidung nicht passt, die eine Entwicklung fürchten oder für die die ganze Richtung nicht stimmt, pöbeln bar jeden Anstands gegen Politiker, als ob diese Freiwild wären.

Ein unrühmlicher Höhepunkt war vor einigen Tagen der Galgen, an dem ein "Pegida"-Demonstrant, unbehelligt von den Veranstaltern, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel oder Kanzlerin Angela Merkel hängen sehen wollte.

Henriette Reker bei Angriff in Köln schwer verletzt
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OB-Kandidatin Reker in Köln bei Messerangriff verletzt

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Foto: ANC-NEWS

Der Schritt zur Tat ist offenbar kleiner, als viele wahrhaben wollen, die in diesem Zusammenhang von Ausrutschern oder Maulheldentum sprechen. Der 44-jährige Attentäter aus Köln, dem ein erstes psychologisches Gutachten volle Schuldfähigkeit zuspricht, ist den Schritt gegangen und hat die OB-Kandidatin Henriette Reker brutal in den Hals gestochen. Der Täter soll laut Medienberichten Kontakte zur rechtsextremen Szene unterhalten haben, fiel aber zugleich der Polizei bislang nicht auf — bis zu jener Messerattacke.

Es ist die in jüngster Zeit bislang spektakulärste Attacke gegen Missliebige — egal ob Politiker, Flüchtlinge oder Minderheiten. Auch wenn es sich um einen Einzeltäter handelt, vergiftet er nachhaltig das politische Klima. Ein Hauch von Weimar weht wieder durch Deutschland, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Demokraten entschlossen zusammenstehen. Die Solidarität von CDU über SPD, FDP, Grünen bis hin zu manchen Linken ist nicht zu übersehen.

Doch es ist nicht sicher, ob damit der Hass und die Verächtlichmachung von demokratischen Politikern gebannt werden kann. Wenn von "der" korrupten, unfähigen, machtgierigen Politik die Rede ist, wird der Geist sichtbar, aus dem Hasstiraden im Internet, Galgen auf Demonstrationen oder Messerattacken entstehen.

Henriette Reker: Entsetzen in Köln nach Attentat
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Entsetzen in Köln nach Attentat auf Reker

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Foto: dpa, fg htf

Auch schwierige Fragen, in denen es um Angst vor Überfremdung oder unkontrolliertem Zuzug, aber auch um Milliardenhilfen für ein überschuldetes Land geht, bedürfen der engagierten, aber auch zivilisierten Debatte. Rede und Gegenrede. Argument und Gegenargument. Und dann entscheidet die Mehrheit der gewählten Vertreter — bei allem grundgesetzlichen Schutz für die unterlegene Minderheit. Es geht nicht darum, die Minderheit an die Wand zu drücken oder zu marginalisieren, wie das oft in zweifelhaften Demokratien wie in der Türkei oder Venezuela geschieht. Der Kompromiss, der Ausgleich, die Verständigung, auch wenn es zuweilen mühselig, langweilig und unbefriedigend ist, machen das Wesen der Demokratie aus.

Sie und der Rechtsstaat, der auch den Täter vor Willkür und Lynchjustiz schützt, sind sensible Institutionen. Demagogen können Unzufriedene leicht dagegen aufwiegeln und ihnen weismachen, dass ihre Meinung allein zu gelten habe, dass andere Ansichten zu verdammen seien. Sie geben ihnen das Recht, ihr Anliegen mit Brachialgewalt zu lösen und ihre Gegner übel zu beschimpfen.

Schon in der ersten deutschen Demokratie, in der Weimarer Republik, legten die Feinde des Rechtsstaats sämtliche Zurückhaltung ab. "Schlagt ihre Führer tot", forderten die Scharfmacher der Freikorps. Persönlichkeiten wie Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Walter Rathenau oder Matthias Erzberger, von ganz links bis zur demokratischen Mitte, mussten dafür mit ihrem Leben bezahlen.

Die Tat des offenbar rechtsextremen Kölners ist auch anders gelagert als die Attentate der geistig Verwirrten auf den früheren SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine und den CDU-Politiker Wolfgang Schäuble. Die waren tragisch, aber offensichtlich nicht politisch motiviert. In Köln fällt es aber nicht so schwer, eine Verbindung aus der hasserfüllten Diskussion im Internet und auf Demos sowie der brutalen Tat herzustellen.

Die Solidarität der Demokraten muss deshalb über den Einzelfall hinausgehen. Der Rechtsstaat ist seit 1949 nicht mehr wehrlos. Es gibt legale und legitime Mittel, gegen Hass, Volksverhetzung und offenen Rassismus vorzugehen — wie auch gegen den religiös motivierten Terror der Islamisten. Dazu gehört auch der Schutz der Politiker, nicht übertrieben wie beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau, aber offenbar auch auf kommunaler Ebene, wie die Vorfälle in Köln lehren. Ein Oberbürgermeister ist exponiert genug, um als Hassprojektion für Attentäter zu dienen. Das sind die bitteren Lehren aus Köln. Aber es gibt eben keinen absoluten Schutz. Die Demokratie bleibt angreifbar.

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(kes)
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