Kölner Agnesviertel Kalle Gerigk verliert Kampf gegen Zwangsräumung

Köln · Soweit man blickt: Polizei. Das Haus Fontanestraße 5 in der Kölner Innenstadt ist umstellt. Kinder schauen ängstlich aus dem Nachbarfenster, Einsatzleiter geben über Funk letzte Anweisungen. Die Zufahrten sind bereits in aller Frühe abgeriegelt worden. Ungefähr 100 Beamte sind im Einsatz. Es geht um Kalle. Kalle Gerigk, den zurzeit wohl bekanntesten deutschen Gentrifizierungs-Gegner. Er kämpft um seine Mietwohnung.

Agnesviertel: Zwangsräumung von "Kalle"
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Etwa 100 Demonstranten machen sich jenseits der Straßensperre für ihn stark: "Alle für Kalle!", rufen sie. Eben stand noch Rolly Brings auf der Bühne und sang von "Kalle unterm Dach". Von den Balkonen der umliegenden Häuser flattern Transparente: "Kein Eigenbedarf - Falle für Kalle". Im Internet kursieren Fotos von einem "Alle-für-Kalle"-Transparent, das von der Berliner Siegessäule baumelt. Und von einer "Kalle-bleibt"-Parole auf einer Mauer, die in El Salvador stehen soll.

Nach Angaben der Bundesregierung sind die Mieten in deutschen Großstädten seit 2008 um mehr als zehn Prozent gestiegen. In den Zentren angesagter Metropolen ist die Lage besonders dramatisch. Die Nachfrage steigt dort ständig, das Angebot kann aber kaum noch erweitert werden - es ist schlicht alles vollgebaut. In einer Stadt wie Köln nimmt die Einwohnerzahl zudem ständig zu. Da bleibt vielen nur noch der Rückzug in die Vorstädte.

Gentrifizierung heißt das Schlagwort für diese Form der Verdrängung alt eingesessener Mieter mit kleinem Geldbeutel durch wohlhabendere Schichten. In Berlin zum Beispiel hat der Stadtteil Prenzlauer Berg diese Entwicklung weitgehend hinter sich, in Mitte läuft sie gerade, und selbst das einst als Problemviertel verrufene Neukölln ist gerade hip geworden.

Warum das in Köln nun alles an Kalle festgemacht wird, weiß er auch nicht genau. Es hat sicher etwas mit seinem Namen zu tun, auf den man so schöne Reime finden kann. Kalle kann auch gut reden, er ist im Karneval aktiv. Und außerdem scheinen die Fronten in seinem Fall so schön klar: Auf der einen Seite der nette Kerl, der seit 32 Jahren treu seine Miete bezahlt hat, der fast jeden Nachbarn mit Namen kennt bis hin zu Steve dem Straßenkehrer. Und auf der anderen Seite der Immobilienhai, der die Wohnung aufkauft, Eigenbedarf anmeldet und dem Mieter kündigt, um - so der Verdacht - die Wohnung zu sanieren und teuer weiterzuverkaufen.

Soweit die schöne Geschichte. Die Gerichte sahen es allerdings anders. Zuerst das Amtsgericht und dann auch das Landgericht. "Es liegt ein Urteil vor, das den Mieter rechtskräftig zur Räumung der Wohnung verurteilt", sagt Gerichtssprecher Marcus Strunk, der vor Kalles Haustür ein Interview nach dem anderen gibt.

"Ein Hallo auch an die kleine Sitzblockade, die sich im Vorgarten gebildet hat", schallt es nun aus dem Lautsprecher. Eine Pro-Kalle-Aktivistin kommentiert das Geschehen live aus dem dritten Stock. Auf der anderen Seite der Absperrgitter ruft der Sprecher einer Initiative gegen Mietsteigerung und Luxussanierung dazu auf, sich vom Buffet zu bedienen: "Es ist auch ein Zeichen von Solidarität, die Sachen zu essen, die andere hier aus Solidarität mitgebracht haben."

Die Polizei beginnt unterdessen, die Demonstranten wegzuschleppen. Einige leisten Widerstand, einer trägt eine kleine Platzwunde davon. Der Mann auf der Bühne appelliert an die Polizei, Sanitäter durchzulassen, das geschehe sogar im Krieg. Stattdessen kommen die Möbelpacker.

Und dann erscheint Kalle leibhaftig. Fotografen und Kameraleute kämpfen um die besten Plätze, um ihn ins Bild zu bekommen. "Der Gerichtsvollzieher war sehr freundlich", sagt Kalle. Er habe dem Mann freiwillig den Schlüssel ausgehändigt. Jetzt wird er erstmal bei Freunden einziehen, und dann will er eine Anzeige aufgeben: "Kalle sucht Wohnung." Mal sehen, wer sich meldet.

(lnw)
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