Prozess gegen Ex-TÜV-Ingenieur "Ich bin da reingeschlittert"

Köln · Ein 63-Jähriger muss sich seit Freitag vor dem Kölner Landgericht verantworten, weil er als Ingenieur beim TÜV Rheinland mindestens 2000 TÜV-Plaketten ausgegeben hat, ohne die Autos je gesehen zu haben.

Der Angeklagte (l.) mit seinem Verteidiger Professor Karsten Fehn.

Der Angeklagte (l.) mit seinem Verteidiger Professor Karsten Fehn.

Foto: Claudia Hauser

Günter S. (Name geändert) ist ein selbstbewusster Mann. In den 30 Jahren, die er für den TÜV Rheinland gearbeitet hat, habe er viel geleistet, sagt er. "Ohne mich würde es die Abgassonderuntersuchung nicht geben, zum Beispiel", sagt er. Er habe sich immer ganz besonders für die Qualitätssicherung eingesetzt, sei der "umsatzstärkste Mann" für das Unternehmen gewesen, bis zu 1200 Gutachten habe er pro Woche geschrieben.

Mit Qualität hatte das, was die Staatsanwaltschaft dem Ingenieur vorwirft, nicht viel zu tun. Der 63-Jährige soll über einen Zeitraum von zwei Jahren als Sachverständiger in mindestens 2000 Fällen Hauptuntersuchungsbescheinigungen ausgestellt und TÜV-Plaketten ausgegeben haben, ohne die Autos je gesehen oder geprüft zu haben. Laut Anklage erhielt er dafür etwa 25.000 Euro von Auftraggebern, gegen die gesondert ermittelt wird. Wegen Falschbeurkundung im Amt und Bestechlichkeit muss Günter S. sich nun vor dem Kölner Landgericht verantworten.

Die Auftraggeber — Inhaber kleiner Kfz-Werkstätten — sollen ihm statt 54 Euro 60 Euro, statt 59 Euro 65 gegeben haben, so soll über die Jahre der Gewinn von 25.000 Euro zusammengekommen sein. Einer der Kfz-Meister soll ihn mit "Fleisch- und Wurstwaren" bestochen haben, wie es in der Anklage heißt. Und weil Günter S. so fleißig war — zumindest dachte das sein Arbeitgeber —, bekam er vom Unternehmen noch eine jährliche Leistungsprämie.

Günter S. legt am ersten Prozesstag ein Geständnis ab, in dem er zugibt, zwei Drittel der Autos "durchgewunken zu haben". Manchen Autos bescheinigte er geringe Mängel wie ein kaputtes Rücklicht, damit der Betrug nicht auffiel. Er sei in der damaligen Situation schlicht überfordert gewesen. "Meine Tochter bekam eine Krebsdiagnose, ich war drei bis viermal am Tag in der Uniklinik und mir fehlte schlicht die Zeit, die Fahrzeuge zu prüfen", sagt er. Es sei ein schleichender Prozess gewesen. Seine Frau wurde auch krank, die Mutter starb, alles sei zu viel gewesen. "Ich bin da reingeschlittert." Er habe die größte Erfahrung gehabt, weshalb alles bei ihm gelandet sei. "Die Situation war so unerträglich, dass ich mit drei Promille drei Autos zu Schrott gefahren habe." Das Unternehmen habe ihm dann einen Fahrer gestellt, um "seinen umsatzstärksten Mann nicht zu verlieren", wie S. sagt.

Der TÜV Rheinland hatte eine große Rückrufaktion gestartet, als alles ans Licht kam. Das Auto einer Frau war buchstäblich auseinandergefallen, obwohl sie eine neue Plakette hatte — sie hatte die Ermittlungen durch ihre Beschwerde angestoßen.

Heute arbeitet S. für die Hälfte seines Ingenieurs-Gehalts bei einem Abschleppunternehmen. Da er ein glaubwürdiges Geständnis abgelegt hat, kann er auf eine Bewährungsstrafe hoffen.

(hsr)
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