Prozess um Fall einer verletzten 19-Jährigen "Bitte hilf mir! Ercan bringt mich um!"

Köln · Eine 19-Jährige kommt schwer verletzt in ein Kölner Krankenhaus und sagt, ihr Bruder habe sie verprügelt. Später verweigert sie die Aussage. Weil der Vater das Ganze mitbekommen haben soll, stand er nun wegen unterlassener Hilfeleistung vor Gericht - doch anhaben kann ihm die Justiz nichts.

Die junge Frau, die in der Nacht zum 28. Februar 2017 in ein Kölner Krankenhaus kam, war übel zugerichtet. Sie hatte blutende Kopfverletzungen, eine schwere Gehirnerschütterung, Blutergüsse und Prellungen am ganzen Körper. Die Ärzte behielten die 19-Jährige ein paar Tage in der Klinik, weil die Gefahr einer Gehirnblutung bestand.

Verantwortlich für Azra G.s Verletzungen soll ihr älterer Bruder gewesen sein. Das sagte das Mädchen der Polizei im Krankenhaus, außerdem hatte sie ihrer besten Freundin eine Nachricht geschrieben: "Ich sterbe gleich, bitte hilf mir! Ercan bringt mich um!" Die Freundin hatte damals die Polizei verständigt — außerdem hatten Nachbarn die 110 gewählt, weil sie die Schreie der Frau gehört hatten.

Auf der Anklagebank des Kölner Amtsgerichts sitzt am Dienstag der 53-jährige Vater der Frau, Yusuf G. (alle Namen geändert). Er war damals auch zu Hause, hatte die Beamten zunächst weggeschickt und gesagt, seine Tochter sei nicht da - da lag sie schon im Krankenhaus. Wegen unterlassener Hilfeleistung bekam er einen Strafbefehl über 1200 Euro — dagegen legte er Einspruch ein und so kam es nun zum Prozess.

"Ich weiß nicht, was passiert ist, ich war unten im Keller. Ende. Mehr sag ich dazu nicht", sagt der Angeklagte. Die Beamten waren damals ein zweites Mal gekommen — mit einem Spürhund. Im Zimmer der 19-Jährigen entdeckten sie jede Menge Blutspuren, zerbrochene Flaschen und umgestoßene Möbel. Das sei sein Blut, sagte der Vater damals.

Azra G. ist als Zeugin geladen. Und was sie sagt, ist für die Anklage nicht hilfreich. "Mein Bruder und ich hatten eine Auseinandersetzung", sagt sie. "Ich wurde aber nicht direkt verletzt." Der Richter zieht die Augenbrauen hoch und liest ihr den Bericht der Ärzte vor, die damals Lebensgefahr nicht ausschließen konnten und ebenfalls die Polizei verständigt hatten - wegen des Verdachts auf häusliche Gewalt. Azra G. weicht aus und sagt: "Ist ja auch egal, heute geht es ja um meinen Vater. Ich kann nur sagen, dass er mir geholfen hätte, wenn er etwas mitbekommen hätte — das hat er aber nicht."

Sie sei "zickig" gewesen und betrunken an jenem Abend, könne sich deshalb auch nicht mehr richtig erinnern. "Ich bin eine Drama-Queen", sagt sie. Sie habe die Dinge in der Nachricht an ihre Freundin "dramatisiert". Staatsanwalt und Richter schauen sie lange an, da sagt sie: "Alles ist bestens."

Im Krankenhaus hatte sie den Polizisten gesagt, ihr Bruder habe sie verprügelt, weil sie sich geweigert hatte, sich von ihrem Freund zu trennen, der kein Moslem war. Später verweigerte Azra G. die Aussage und die Staatsanwaltschaft musste das Verfahren gegen ihren Bruder einstellen. Als Verwandte muss sie nicht aussagen.

Dem Richter bleibt am Dienstag nichts anderes übrig, als auch das Verfahren gegen den Vater einzustellen. Mit seiner Tochter verlässt der den Saal. Azra G. ruft dem Richter noch zu: "Vielen Dank, ich danke Ihnen." Sie lebt immer noch zu Hause.

(hsr)
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