Ehemals Übergewichtige verklagt Krankenkasse "Ich hatte nicht fünf Kilo zu viel, sondern ein echtes Problem"

Köln · Manuela Götz hat 150 Kilogramm gewogen. Heute trägt sie Kleidergröße 36. In einer Operation müsste ihre überschüssige Haut entfernt werden – doch die Krankenkasse will nicht bezahlen. Nun klagt die 44-Jährige.

Manuela Götz hat 150 Kilogramm gewogen. Heute trägt sie Kleidergröße 36. In einer Operation müsste ihre überschüssige Haut entfernt werden — doch die Krankenkasse will nicht bezahlen. Nun klagt die 44-Jährige.

Im vergangenen Sommer hat Manuela Götz sich den ersten Bikini ihres Lebens gekauft. "Ich hab heulend im Laden gestanden", sagt die 44-Jährige. Als die Verkäuferin fragte, was denn los sei, antwortete sie: "Das verstehen Sie jetzt nicht." Die Arzthelferin war stark übergewichtig, schon als Kind, wie sie sagt. Als die Waage 150 Kilogramm anzeigte, hörte sie auf, sich zu wiegen. Heute wiegt sie 60 Kilo und trägt Kleidergröße 36. Wenn Manuela Götz shoppen geht, kann sie sagen: "Nö, das gefällt mir nicht." Früher fragte sie: "Was haben Sie denn so da in Größe 56?" Und kaufte dann das, "was am wenigsten hässlich war". Aber meistens bestellte sie ihre Kleidung ohnehin im Internet. Dann musste sie nicht raus, sich nicht zeigen. Wenn sie unterwegs war, beobachtete sie die anderen und bemerkte ihre Blicke.

Heute achtet sie nicht mehr darauf, ob jemand sie anschaut oder nicht. Manuela Götz hat sich dearart verändert, dass ihre eigene Schwester im Einkaufszentrum an ihr vorbeigelaufen ist. Doch obwohl sie 93 Kilo weniger wiegt als früher ist ihr Kampf, wie sie es nennt, noch nicht vorbei: Weil ihre Krankenversicherung eine Operation, in der überschüssige Haut entfernt werden soll, nicht bezahlen will, hat sie Klage vor dem Kölner Sozialgericht eingereicht. "Meine beste Freundin meinte: Du hast so viel geschafft, da gibst du doch jetzt nicht auf", sagt sie.

"Ich war früher keine selbstbewusste Frau. Meine Gedanken kreisten immer darum, was die Leute von mir denken." Es ist nicht so, dass sie damals nicht versucht hätte abzunehmen. Trennkost, FDH, Ernährungsumstellung, Fitnessstudio und Adipositas-Selbsthilfegruppen — die zweifache Mutter gab sich Mühe, doch am Ende hatte sie immer sämtliche Kilo wieder drauf. "Ich bin im Alltag einfach immer schnell wieder in meine alten Muster verfallen", sagt sie.

Die Fressattacken kamen abends. "Es war gar nicht so, dass ich literweise Cola getrunken hätte. Aber ich hab einfach die ganze Zeit irgendwas gegessen — eigentlich jedes Mal, wenn ich am Kühlschrank vorbeigekommen bin." Beim All-you-can-eat-Buffet machte sie sich fünfmal den Teller voll. Gab es Kuchen, aß sie nicht ein Stück, sondern drei. Und mit jedem Kilo mehr verlor sie wieder ein Stückchen Selbstbewusstsein. "Ich hatte nicht fünf Kilo zu viel, sondern ein echtes Problem."

Vor 15 Jahren entschied sie sich für eine Magenband-Operation. Dabei wird ein Silikonband um den oberen Teil des Magens geschlungen, das Hungergefühl wird so unterdrückt. Es lief nicht gut. Bei der Operation gelangten Keime in ihren Bauch, es kam zu mehreren Bauchdeckenbrüchen, Manuela Götz musste sich sieben weitere Male operieren lassen. Am Ende wollte sie nur noch, dass das Band, das ihren Magen verkleinern sollte, aus ihrem Körper verschwindet. 150 Kilo schwer stand sie 2012 weinend vor ihrer Ärztin. Zwei Jahre später entschied sie sich schließlich für eine Magenverkleinerung. Damit die Krankenkasse die Kosten übernimmt, hatte Götz ein halbes Jahr lang Nachweise erbracht. Dazu gehörte die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe, ein Ernährungstagebuch, Bewegung. Der Antrag auf Bewilligung der sechsstündigen OP umfasste 50 Seiten. Im August 2014 entfernten Ärzte zwei Drittel ihres Magens. Es war kompliziert, der Dünndarm war nach der missglückten Magenband-OP mit der Bauchdecke verwachsen.

Doch nach der Operation verlor Manuela Götz endlich Gewicht — innerhalb eines Jahres 93 Kilogramm. Ihr schönster Moment war, als ihr 14-jähriger Sohn sie umarmte und sagte: "Boah Mama, ich komm ganz rum." In einer weiteren Operation wurden Manuela Götz eineinhalb Kilo überschüssige Haut vom Bauch entfernt. Die Krankenkasse übernahm die Kosten von 8000 Euro. Doch auch an den Oberschenkeln und am Gesäß gibt es viel überflüssiges Gewebe. "Ganz ehrlich: Meinen Hintern seh ich nicht, es ist mir völlig egal, wie der aussieht. Aber ich kann nicht länger als zehn Minuten sitzen", sagt Manuela Götz. Wenn sie die Haut an ihren Oberschenkeln greift und nach oben zieht, sieht man, wieviel Gewebe da ist, das jetzt schlicht nicht mehr gebraucht wird. Beim Sitzen entstehen Druckstellen und Hämatome, sie kann nur mit einem speziellen Kissen einigermaßen schmerzfrei sitzen. Die Haut an ihren Oberschenkeln ist immer wieder entzündet. Sie trägt ständig Kompressionsstrümpfe.

"Das Schlimmste ist das Autofahren", sagt sie. Eigentlich war der Führerschein, den sie erst 2015 gemacht hat, ein Teil ihrer neu gewonnenen Freiheit. Sie muss ihren autistischen Sohn zu unterschiedlichen Therapien fahren, die Familie lebt auf dem Land, in einem Dorf in Rheinland-Pfalz. Für eine halbstündige Fahrt braucht Manuela Götz mehr als eine Stunde, weil sie wegen der Schmerzen mehrere Pausen einlegen muss. Doch die Krankenkasse will die Kosten für weitere Straffungsoperationen nicht übernehmen; die "gewünschten Maßnahmen sind medizinisch nicht begründet", heißt es im Widerspruchsbescheid. Es seien keine funktionellen Einschränkungen erkennbar.

Manuela Götz klagt nun vor dem Kölner Sozialgericht gegen die Entscheidung. Ihr Anwalt Ralf Kleinjans sagt: "Einerseits animieren die Kassen ihre Mitglieder, gesund zu leben, Sport zu machen und abzunehmen — und dann lassen sie jemanden wie Manuela Götz, die sehr diszipliniert und rigoros abgenommen hat, einfach im Regen stehen." Den Rat der Kasse, Manuela Götz solle Muskelaufbautraining machen, bezeichnet er als zynisch. "Das ist Haut, die nach der Operation einfach überschüssig ist, da lassen sich keine Muskeln aufbauen." Er will bis vor das Bundessozialgericht ziehen, wenn es sein muss. Im Spätsommer wird voraussichtlich eine erste Verhandlung in Köln sein. Manuela Götz hofft, dass sie die Krankenkasse mit einem weiteren ärztlichen Gutachten überzeugen kann.

Sie fühlt sich wie in einem neuen Leben, aber die Angst, wieder zuzunehmen, ist immer da. "Mein Kopf wurde ja nicht mitoperiert", sagt sie. An ihr früheres Leben erinnert sie eine schwarze Hose, Größe 56. "Wenn alles überstanden ist, nähe ich mir daraus eine Tasche", sagt sie. "Eine große Tasche."

(hsr)
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