Besuch im Heim der Kölner Caritas Ein letztes Zuhause im Hospiz

Köln · In Hospize kommen Menschen zum Sterben. Dabei sind die Einrichtungen ein lebendiger Ort voller Liebe, wo der Tod nicht im Vordergrund steht - auch nicht für Paul Hoogeveen, seine Tochter und seine Pflegerin.

Sterbehilfe als Notausgang?
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Einmal schafft er es nicht. Als Paul Hoogeveen sich von seinem Rollstuhl auf die Bettkante hieven will, rutscht er weg und knallt zu Boden. Er liegt da, regungslos, halb gelähmt sowieso. Er sammelt seine Kräfte, zieht sich zitternd mit dem rechten Arm am Bettrahmen hoch, kämpft, Zentimeter für Zentimeter, bis zur Notklingel, die oben am Griff baumelt und sackt dann wieder zu Boden.
Zehn Minuten später kommt ein Pfleger. Eine kleine Ewigkeit. Und das ist das Schlimmste: Nicht der Hirntumor, nicht das Hospiz. Sondern die Ohnmacht.

Es klopft.

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Foto: ddp

"Jaha."

"Guten Morgen Herr Hoogeveen!"

"Moin. Ich bin immer noch da."

Paul Hoogeveen, 67, ist in Scheveningen/Den Haag aufgewachsen, früher ein kleiner Fischerort, heute größtes Seebad der Niederlande. Ende der Siebziger zog er ins Rheinland, wegen der Industrie, seiner Arbeit als Maschinenbauer. Aber auch, weil es ihm hier gefiel, ja sogar das Kölsch kann man trinken, auch wenn kein deutsches Bier an Heineken rankommt. Ein paar Dosen davon stehen in der Minibar seines Zimmers. Aber das hier ist kein Hotel, sondern ein Hospiz, und das hier keine Auszeit, sondern die Zeit vor dem Aus.

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Foto: Shutterstock/ Juan Gaertner

Aber was ist schon Zeit, wenn man keine mehr hat?

"Man versucht, sie nur anders zu beleben, man denkt viel nach, was gut war, was schlecht war. Besser man denkt nur an das Gute. Alles andere muss man akzeptieren und fertig", sagt Hoogeveen und streicht sich die Kuchenkrümel vom verwaschenen Queen-Shirt, auf dem steht: "The Show Must go on".

"Vor dem Tod ist immer Leben"

Es muss ja weitergehen, das Leben, bis zum Schluss. "Vor dem Tod ist immer Leben", sagt Beate Anton. Seit knapp fünf Jahren arbeitet sie als Ergotherapeutin hier im Caritas Hospiz in Köln-Porz.
Deutschlandweit gibt es laut Deutschem Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) über 200 stationäre Hospize, 1500 ambulante Hospizdienste und mehr als 250 Palliativstationen in Krankenhäusern. Außerdem helfen über 80.000 Ehrenamtliche.

Der Bundestag will in dieser Woche über ein Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung verabschieden. Das soll auch dem Wunsch nach aktiver Sterbehilfe oder Selbsttötung entgegenstehen. Bislang sind die Plätze in Hospizen rar, das Angebot ausbaufähig.

 In Hospize kommen Menschen zum Sterben. Dabei sind die Einrichtungen ein lebendiger Ort voller Liebe, wo der Tod nicht im Vordergrund steht.

In Hospize kommen Menschen zum Sterben. Dabei sind die Einrichtungen ein lebendiger Ort voller Liebe, wo der Tod nicht im Vordergrund steht.

Foto: dpa, Jens Wolf

Auch die neun Betten in Köln-Porz sind fast immer belegt, zwanzig Mitarbeiter rund um die Uhr im Einsatz. Es gibt ein großes Wohnzimmer mit Couch und Klavier, im Garten einen Brunnen und einen Apfelbaum, Symbole für Vergehen und Neubeginn. Menschen kommen und sterben, manche nach Monaten, manche nach Stunden. "Es geht darum", erklärt Anton, "die Menschen auf ihrem letzten Stück Weg so gut es geht zu begleiten. Egal wie lang der ist."

Diagnose: Hirntumor, bösartig

Paul Hoogeveen hat noch zwei Wochen. Oder zwei Jahre. So genau wüssten das die Ärzte nicht, sagt er. Als im Juli seine linke Hand nicht aufhören wollte zu zittern, fuhr er zum Arzt. "Aber der Idiot hat mich weggeschickt." Seine Tochter fuhr ihn ins Krankenhaus, am Ende der Untersuchungen die Diagnose: Hirntumor, bösartig. Er wurde entfernt, das Leben in seiner linken Körperhälfte gleich mit. Halbseitig gelähmt schickten die Ärzte ihn zur Reha, nicht ohne die Hiobsbotschaft: Der Krebs kommt wieder. Keine Ahnung wann, aber er kommt.

"Ich hoffe, er kommt bald", denkt Hoogelveen manchmal. Dann denkt er: Auch wenn alles nicht mehr so ist, wie man es haben will, hängt man doch an seinem Leben. Irgendwelche Reiseziele? Egal. Der Bayer Leverkusen-Schal an der Tür? Fußball ist unwichtig. "Was zählt", sagt Hoogeveen, "sind die Menschen um einen." Sein Kumpel zum Beispiel, mit dem er nochmal Currywurst essen war. Oder sein Sohn, zu dem der Kontakt abgebrochen war, der mit ihm noch einmal nach Holland fuhr, für Fritten und Bier. Und seine vierjährige Enkelin, die keine Angst hat herzukommen, weil hier niemand in weißen Kitteln herumläuft.

Ein Hospiz ist kein Krankenhaus, es ist ein letztes Zuhause. Die Zimmer voller Puzzleteile eines Lebens. Hoogeveen guckt auf die Vergangenheit: ein geerbter Elefantenholztisch, Fotos seiner Eltern, ein altes Kruzifix. Er guckt auf die Gegenwart: sein Laptop, sein Smartphone und der Stofftiger, den Enkelin Laya ihm hiergelassen hat.

Opas Wohnzimmer

Für sie ist das hier Opas Wohnzimmer. Laya, was im Skandinavischen "Geschenk" bedeutet, weiß genau Bescheid. Ihre Mutter, Hogeveens Tochter Simone Opitz, hat ihr erklärt, dass Opa "Aua Kopf" hat. Dass er bald sterben muss, aber immer auf sie aufpassen wird. "Opa", hat Laya dann gesagt, "du bleibst dann ja mein Schutzengel."

"Natürlich war die Diagnose ein Schock", sagt die Tochter, "nach der OP wusste ich, er wird nicht mehr der, der er mal war. Er war immer stark, unabhängig. Jetzt macht er in die Hose, bricht Blut, ist gelähmt. Wir haben viel zusammen geweint." Aber in Trauer und Verzweiflung zu versinken, hielt sie für falsch, egoistisch sogar. "Mein Vater war immer für mich da, jetzt bin ich es für ihn."

Ein Platz im Hospiz sei Glück im Unglück, man hat noch Gelegenheit, zusammen Lustiges zu erleben, richtig Abschied zu nehmen. Ein Ort voller Liebe, fast familiär, es gebe einem Kraft, Verständnis, Hilfe. "Der Mensch ist hier im Vordergrund, nicht der Tod. Er ist keine Nummer auf dem Krankenzimmer." Ihr Vater habe immer bewusst gelebt, jetzt könne er bewusst sterben.

Bewusst sterben heißt auch: warten auf den Tod. Will man das? Kann man das? Hoogeveen sagt: "Für mich kommt Sterbehilfe nicht in Frage." Seine Tochter sagt: "Man sollte nicht versuchen, Gott zu spielen." Wäre es Wunsch ihres Vaters, sie wüsste nachher nicht, ob es richtig war. Fragen machen ihr Angst: War es richtig? Hatte er Schmerzen? Jetzt habe sie keine Angst mehr davor, dass er stirbt. Sie gehen die letzten Meter zusammen, im Hospiz.

Beate Anton und ihre Kollegen umsorgen so gesehen auch die Angehörigen. Übernehmen die Pflege des Sterbenden, überlassen ihnen möglichst die schöne Zeit und Gelegenheit, sich zu verabschieden. Sie bieten Gedenkfeiern, Trauergruppen, Seelsorge. Und sie selbst? Wenn ein Bewohner das Haus verlässt, erklärt Anton, schlagen sie den Gong am Eingang. Dann halten sie kurz inne. "Ich weine auch manchmal, klar. Ich nehme auch mal was mit nach Hause. Aber nichts Negatives. Man lernt das Leben zu schätzen. Jeden Spaziergang."

Paul Hoogeveen würde das nicht reichen. Wenn er könnte, würde er noch einmal raus, Motorrad fahren, oder ein schnelles Auto. Ab auf die Straße, wie früher, nur Kaffee und Zigaretten im Gepäck, und dann Queen bis zum Anschlag, "I want to break free".

Simone Opitz war eben noch beim Bestatter, alles abklären, so wie ihr Vater es will. Am Sonntag holen sie ihn noch mal nach Hause, bisschen Essen, Fußball gucken. Irgendwann wird auch der Gong für Paul Hoogeveen schlagen. "Wenn Papa dann friedlich eingeschlafen ist", sagt Opitz, "dann hat er es geschafft."

((KNA/rl))
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