Urteil in Kölner Hooligan-Prozess "Marodierend durch die Altstadt gezogen"

Köln · Das Kölner Amtsgericht hat vier junge Russen zu Bewährungsstrafen verurteilt, weil sie nach einem Spiel der Fußball-EM in Köln randaliert und zwei Männer brutal zusammengeschlagen hatten. Der Staatsanwalt spricht in seinem Plädoyer von menschenverachtenden und rassistischen Motiven für die Tat.

 Vor Gericht versteckten die Angeklagten ihre Gesichter hinter Zeitungen.

Vor Gericht versteckten die Angeklagten ihre Gesichter hinter Zeitungen.

Foto: dpa, mb vfd

Die Plätze in Saal 13 des Kölner Amtsgerichts reichen am Freitagmorgen nicht aus für die vielen Journalisten und Zuschauer, die den Prozess gegen fünf junge Männer verfolgen wollen. Mittendrin steht eine russische TV-Journalistin, die live berichtet. Die Tat, die vor dem Schöffengericht verhandelt wird, bietet gleich mehrere "Entertainment-Aspekte", wie Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn später sagen wird: Fußball, Hooligan-Randale und Schlägerei auf der Domplatte. Die fünf russischen Hooligans haben sich am 16. Juni dieses Jahres aber nicht mit gegnerischen Fans zum Kräftemessen auf irgendeiner Wiese getroffen, sondern sollen auf der Ostseite des Kölner Doms im größten Trubel auf zwei spanische Touristen losgegangen sein und sie zusammengeschlagen haben. Es war ein brutaler Zeitvertreib auf dem Weg von der Europameisterschaft in Frankreich zurück nach Moskau.

Wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung wurde ihnen nun der Prozess gemacht. Die Ermittlungen gegen einen sechsten Beschuldigten laufen noch. Die Staatsanwaltschaft geht von folgendem Tatablauf aus: Die sechs Männer kamen gegen 16 Uhr mit dem Thalys aus Brüssel und hatten Zwischenstopp in Köln. Am späten Abend wollten sie vom Flughafen Köln-Bonn nach Russland fliegen. Sie gingen in die Altstadt, tranken Bier und pöbelten Passanten und Touristen an. Ein Zivilbeamter behielt die Männer im Auge und folgte ihnen auf ihrem Weg zum Dom. Dort traf die Gruppe auf die beiden Spanier (20, 24), die in Begleitung einer Freundin (41) auf dem Weg zum Rhein waren. Einer von ihnen trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Refugees welcome", sein Kumpel klebte einen antifaschistischen Aufkleber auf eine Metalltür. Einer der Hooligans fragte: "Antifa?", der spanische Tourist verstand nicht recht und fragte zurück: "Antifa?", da gingen die Angetrunkenen schon im Pulk auf ihn und seinen Kumpel los.

Einer der Angreifer, der 28-jährige Anton C., trat einem der beiden mit Anlauf ins Gesicht, als der schon am Boden lag. Er erlitt einen offenen Nasenbeinbruch und zahlreiche Prellungen am ganzen Körper. Auch das zweite Opfer wurde schwer verletzt. Hundertschaftsbeamte waren innerhalb von Minuten vor Ort und setzten die Angreifer fest. Anton C. versuchte, sich noch gegen die Beamten zur Wehr zu setzen, als er schon gefesselt war.

Der Vorsitzende Richter Frank Altpeter weist die fünf Angeklagten darauf hin, dass dieser erste Verhandlungstag ein "Sondierungstermin" sei. "Sollten Zeugen erforderlich sein, können wir den Termin heute nicht zu Ende bringen", sagt er. Soll heißen: Bei Geständissen wird es ein kurzer Prozess. Das liegt offenbar im Interesse der Angeklagten, die seit sechs Wochen in Untersuchungshaft sind, in "Gefangenschaft" wie ein Verteidiger sagt und von einer "unerträglichen Haftsituation" spricht. Zwei der zwischen 26 und 31 Jahre alten Angeklagten haben Kinder, sie arbeiten als Köche, Mathematiklehrer und Wirtschaftsprüfer in Russland. Der 31-jährige Oleg M. hat seinen Job als Manager in einer Uhrenfirma verloren, weil er nach der EM nicht nach Hause zurückkehren konnte.

Vier der Angeklagten legen daraufhin Geständnisse ab, nur der 26-jährige Timur P. bestreitet, selbst zugeschlagen zu haben. Sein Verfahren wird nun am 17. August gesondert weitergeführt. Alle anderen geben zu, die Touristen angegriffen zu haben — ob die Geständisse aus wahrer Reue erfolgen oder taktische Gründe haben, bleibt unklar. Die Gelegenheit zum letzten Wort wird keiner von ihnen an diesem Tag für ein paar persönliche Worte nutzen.

Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn geht in seinem Plädoyer auf das "menschenverachtende und rassistische Motiv" der Tat ein. "Die beiden wurden aufgrund ihrer politischen Gesinnung zusammengeschlagen", sagt er. Die Angeklagten hätten ihre Übermacht an jenem Tag ausgenutzt. Der Polizeibeamte habe ausgesagt, die Angeklagten hätten als Gruppe agiert, alle seien beteiligt gewesen. "Keiner stand im Abseits." Willuhn ist überzeugt davon, dass die schnellen Festnahmen dem Präsenzkonzept der Polizei zu verdanken seien, die nach den Übergriffen an Silvester immer noch verstärkt rund um den Dom im Einsatz ist. "Wäre die Hundertschaft nicht so schnell da gewesen, wären die Angeklagten weg gewesen — wie die Prügelei weitergegangen wäre, ist Spekulation, aber gut höchstwahrscheinlich nicht." Den Angeklagten zugute hält er, dass keiner von ihnen vorbestraft ist und "eine gewisse alkoholische Enthemmung" vorlag. Sturzbetrunken waren sie nicht, ihre Blutproben hatten Werte von 0,3 bis 0,9 Promille. Willuhn fordert Strafen zwischen einem Jahr und drei Monaten und einem Jahr und neun Monaten.

Das Gericht bleibt schließlich deutlich unter dieser Forderung und verurteilt den Haupttäter Anton C. zu einem Jahr Freiheitsstrafe und die anderen drei Angeklagten zu je zehn Monaten. Richter Altpeter setzt alle Strafen zur Bewährung aus. Auch wenn der Verdacht nahe liege, dass die Angeklagten aus rechtsradikalen Motiven heraus zugeschlagen hätten, gebe es keine Hinweise für eine politisch motivierte Tat. "Sechs gegen zwei ist feige — das lernt man schon auf dem Schulhof", sagt er in der Urteilsbegründung. Die Gruppe sei "marodierend durch die Altstadt gezogen". "Es kann nicht sein, dass man die Anonymität nutzt, um schwere Straftaten zu begehen." Die Angeklagten hören der Dolmetscherin da schon nicht mehr richtig zu. Ihr größtes Ziel, das Gefängnis verlassen und zurück nach Hause zu können, haben sie erreicht.

Eine Ermittlungsgruppe der Polizei hatte mit den französischen Behörden versucht, herauszufinden, ob die Gruppe an den schweren Hooligan-Krawallen in Marseille beteiligt war. Doch die Ermittler konnten den fünf Männern keine Beteiligung nachweisen.

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