Einsturz des Kölner Archivs jährt sich zum fünften Mal "Wir sind nachdenklicher geworden"

Köln · Mit einer Kranzniederlegung hat die Stadt Köln am Montagmorgen des Archiveinsturzes vor genau fünf Jahren gedacht. Bei dem Unglück waren zwei junge Anwohner getötet worden, es entstand ein Schaden von schätzungsweise einer Milliarde Euro.

Einsturz vom Stadtarchiv in Köln 2009 - Suche nach Ursache geht weiter
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Archiv-Einsturz: Suche nach Ursache geht weiter

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Foto: dpa, obe lof

Weil der Jahrestag auf Rosenmontag fiel, fand die Gedenkveranstaltung schon morgens um 7.30 Uhr statt. Nur etwa zwei Dutzend Menschen waren gekommen, überwiegend Vertreter der Stadt und Journalisten. Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) sagte, er hoffe sehr, dass die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen zur Einsturzursache noch in diesem Jahr abschließen könne. Es gilt als sicher, dass der Einsturz durch den U-Bahn-Bau ausgelöst wurde. Woran es genau lag, ist aber noch nicht zweifelsfrei geklärt.

"Der Einsturz unseres Stadtarchivs hat unsere Stadt verändert", sagte Roters. "Wir sind nachdenklicher geworden, auch im Umgang mit Großprojekten." Der fünfte Jahrestag falle nun ausgerechnet auf Rosenmontag. Dies müsse aber nicht bedeuten, dass die Erinnerung an diesem Tag keine Rolle spiele. "Uns gelingt es, Nachdenklichkeit, Trauer, Gedenken auch mitzunehmen in das Feiern", sagte Roters. "Das schließt sich nicht aus."

Nach der Kranzniederlegung schalteten die Kölner wieder um auf Alltag, und das bedeutet flächendeckender Frohsinn. "Zokunf, mer spingkse wat kütt" lautet das karnevalistische Motto der närrischen Session 2014, "Zukunft, wir schauen was kommt". Treffender könnte es in diesem Jahr nicht sein.

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Denn einen Blick in die Zukunft werfen würde auch Frank Deja, Sprecher der Bürgerplattform "Köln kann auch anders", gerne. Ihn und seine Mitstreiter — sowie wahrscheinlich den Großteil der Kölner Bürger — interessiert es, wie es überhaupt zu dem Einsturz kommen konnte. Vor allem aber, wer für die Katastrophe vom 3. März 2009 zur Rechenschaft gezogen wird. Deshalb hat die Initiative selbst Strafanzeige erstattet, gegen den Betriebsleiter der Gebäudewirtschaft, der Eigentümerin des zerstörten Archivs, und gegen das seinerzeit für den U-Bahn-Bau zuständige Vorstandsmitglied der Kölner Verkehrsbetriebe (KBV). "Wir möchten damit auch eine Verjährung verhindern", sagt Deja. "Sollte die Staatsanwaltschaft der Anzeige nicht nachgehen, wären diese Personen aus der Verantwortung — egal, was sich hinsichtlich der Unglücksursache herausstellt."

Unter den 106 Beschuldigten, gegen die die Staatsanwaltschaft offiziell ermittelt, sind diese beiden Funktionsträger nicht. Für Deja wird damit die operative Ebene in den Vordergrund gestellt, die "Entscheider" dagegen blieben unbehelligt. Er zieht den Vergleich zur Anklage bei der Loveparade-Katastrophe in Duisburg. Auch dort kritisierten Betroffene und Hinterbliebene, dass nur gegen nachgeordnete Sachbearbeiter Anklage erhoben werde. "Die Parallelität liegt auf der Hand", sagt Deja. Immerhin attestiert die Initiative der Stadt Köln, dass diese redlich bemüht sei, die Unglücksursache aufzuklären.

Baldige Aufklärung über die Umstände des Einsturzes hat auch der Kölner Stadtdirektor Guido Kahlen angekündigt. Aller Voraussicht nach noch in diesem Jahr, sagte er, sei das Ergebnis der Gutachter zu erwarten. Drei Szenarien kommen ursächlich für den Einsturz in Betracht. Szenario eins: Beim Bau eines Tunnels für die neue Kölner U-Bahn haben Bauarbeiter eine seitliche Stützwand, eine sogenannte Lamelle, beschädigt. Durch das Loch floss immer wieder Wasser in die Baugrube, ein Hohlraum entwickelte sich, der am 3. März zusammenstürzte und das Stadtarchiv mitriss. Szenario zwei: Wasser ist unter den Lamellen durchgeflossen und hat den Hohlraum ausgeschwemmt. Bei Szenario eins wären eher die ausführenden Unternehmen in der Verantwortung, Szenario zwei würde die Baufirmen eher entlasten und die KVB stärker in den Vordergrund rücken. Szenario drei schließlich wäre höhere Gewalt, bei der wohl niemanden eine direkte Schuld träfe: ein plötzlicher unterirdischer Wassereinbruch.

Taucher sollen im Sommer Klarheit bringen, der Schaden liegt in mehr als 20 Metern Tiefe. Deshalb wurde eigens ein Besichtigungsbauwerk errichtet. Das hört sich nach touristischer Attraktion an, es geht aber um eine akribische wie aufwendige Spurensuche. Mit Kühlmitteln wird der Bereich um die Lamellen eingefroren, damit der alte Zustand gewahrt bleibt. Bei den KVB rechnet man damit, ein Loch in der Stützwand zu finden. Doch ausgemacht ist das noch lange nicht.

Für die Plattform "Köln kann auch anders" war der Stadtarchiv-Einsturz ein Weckruf, sagt Deja. Am Anfang des Engagements habe das Entsetzen über die Mischung aus Inkompetenz, fehlender Kontrolle und mangelhaftem Verantwortungsbewusstsein gestanden, die den Weg in die Katastrophe geebnet habe. "Es folgte die Erkenntnis, dass dies nur die schmerzlichsten Symptome für die Missstände in unserer Stadt waren", sagt Deja. Deshalb ist es ihm und seinen Mitstreitern auch egal, ob die Stadt an der Unglücksstelle einen Kranz niederlegt. Das sei nur eine Verlegenheitsgeste, sagte er, danach werde weiter gefeiert.

Das Mindeste, was Deja erwartet, ist eine Gedenktafel und eine offizielle Entschuldigung der Stadt. Und ihn bewegt die Frage, wieso es überhaupt zum Unglück kommen musste. Warnsignale lange vor der Katastrophe habe es genug gegeben, nur habe die offensichtlich niemand ernst genommen. Ob Frank Deja irgendwann Antworten auf diese und andere drängenden Fragen bekommt, ist ungewiss. Sicher ist nur, dass der Rosenmontagszug die Unglücksstelle meidet. So weit in die Zukunft "gespinkset" hat man in Köln dann schon.

(RP)
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