Köln Wahlbeteiligung könnte 40 Prozent erreichen

Köln · Einen Tag nach dem vermutlich fremdenfeindlichen Attentat auf die OB-Kandidatin Henriette Reker sind rund 800.000 Kölner aufgerufen, wählen zu gehen. Der Schock hat sich bei vielen in eine "Jetzt erst recht"-Haltung gewandelt.

Henriette Reker bei Angriff in Köln schwer verletzt
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OB-Kandidatin Reker in Köln bei Messerangriff verletzt

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Foto: ANC-NEWS

Bis 16 Uhr hatte knapp jeder dritte Kölner seine Stimme abgegeben. Die Wahlbeteiligung lag bei 31,7 Prozent, wie die Stadt auf ihrer Homepage mitteilte. Dabei sind die Briefwähler anteilig mitgerechnet. Wahlleiterin Gabriele Klug erwartet, dass bis zur Schließung der Wahllokale um 18 Uhr die 40-Prozent-Marke geknackt wird.

Henriette Reker, die als aussichtsreiche Kandidatin gilt, war am Samstag bei einer Wahlkampfveranstaltung auf einem Wochenmarkt in Köln-Braunsfeld von einem 44-Jährigen niedergestochen worden. Nach einer Notoperation war sie nach Angaben ihrer Ärzte am Samstagabend außer Lebensgefahr. "Wir halten zum jetzigen Stand und bei normalem Verlauf die vollständige Wiederherstellung der Gesundheit von Frau Reker für wahrscheinlich", sagte Klinikdirektor Karl-Bernd Hüttenbrink.

Henriette Reker: Entsetzen in Köln nach Attentat
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Entsetzen in Köln nach Attentat auf Reker

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Foto: dpa, fg htf

Das Attentat hat das spannende Duell um den Chefsessel im Kölner Rathaus in den Hintergrund treten lassen. Dabei könnte Reker die erste parteilose Oberbürgermeisterin und die erste Frau an der Spitze der Domstadt werden. Neben ihr hat einer Umfrage zufolge noch der SPD-Landtagsabgeordnete Jochen Ott Chancen auf den Wahlsieg.

Wahlleiterin Gabriele Klug hatte bei einer Pressekonferenz nach der Tat an die Kölner appeliert, auf jeden Fall wählen zu gehen. Alle Parteien stoppten aber den Wahlkampf. Eine Verschiebung der Wahl wäre laut Gesetz nur vorgesehen, wenn ein Kandidat vor der Wahl stirbt - bei einer schweren Verletzung aber nicht. Zudem waren sich die politischen Akteure aller Parteien einig, mit dem Wahltermin auch ein Zeichen zu setzen. Fritz Schramma (CDU), Kölns früherer Oberbürgermeister, sagte, Reker werde am Sonntag auf der Intensivstation ihre Stimme abgeben.

Henriette Reker: Reaktionen auf die Messer-Attacke
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Reaktionen auf die Messer-Attacke auf Henriette Reker

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Foto: dpa, mg pzi

Täter nannte fremdenfeindliche Motive

Der 44-jährige Täter hatte Reker am Samstagmorgen an einem CDU-Wahlkampfstand auf einem Wochenmarkt niedergestochen. Die 58-Jährige wurde nach offiziellen Angaben im Halsbereich schwer verletzt.Henriette Reker ist als Kölner Sozialdezernentin für die Unterbringung von Flüchtlingen in der Domstadt zuständig.

Der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers bestätigte, was unsere Redaktion bereits zuvor gemeldet hatte: "Es gab im Vorfeld keine Anschlagsdrohung." Neben Reker wurden auch eine Kölner CDU-Politikerin, eine FDP-Ratsfrau und zwei Bürger verletzt.

Kölns scheidender Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) rief zu Standhaftigkeit auf. "Es geht jetzt darum, dass wir uns nicht unterkriegen lassen", sagte Roters. Die Diskussion um Flüchtlinge in Deutschland werde heftiger, immer häufiger würden Asylbewerberheime angegriffen. "Wir müssen alle gemeinschaftlich darauf achten, dass das Klima des Zusammenlebens nicht beschädigt wird", appellierte Roters.

"U2"-Sänger Bono ruft Fans zu Solidarität auf

Am Samstagabend hatte es bei einem Konzert von "U2" eine spontane Solidaritätsbekundung gegeben. Sänger Bono wandte sich in der Lanxess Arena an sein Publikum: "Singt für Henriette Reker", rief er den Fans zu, als die Band "Pride — In the Name of Love" anstimmte, berichtet der Kölner Stadtanzeiger.

Das Attentat hatte bundesweit Sorge über zunehmende Gewalt in der Diskussion über die Aufnahme von Asylbewerbern in Deutschland ausgelöst. "Dieser feige Anschlag in Köln ist ein weiterer Beleg für die zunehmende Radikalisierung der Flüchtlingsdebatte", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Samstag. Die Spitzen der NRW-Politik hatten sich als Zeichen gegen Gewalt an einer Menschenkette um das Kölner Rathaus beteiligt.

Der SPD-Bundesvorsitzender Sigmar Gabriel warnte in der "Rhein-Zeitung" (Montagsausgabe) vor einem Erstarken des rechten Randes in Deutschland. "Das ist schockierend, weil es zeigt, dass in einem Teil der Gesellschaft die Radikalisierung zugenommen hat", sagte er. "Man muss leider sagen, wenn solch eine Stimmung so wächst, dann gibt es Fanatiker, die sich selbst quasi als Vollstrecker des Volkswillens empfinden."

Die parteilose Reker wird von CDU, Grünen und FDP unterstützt und liegt laut einer jüngsten Umfrage vor ihrem SPD-Konkurrenten Jochen Ott. Sollte keiner der beiden eine absolute Mehrheit erringen, entscheidet am 8. November eine Stichwahl.

Der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann glaubt, dass Reker nach dem Angriff in der Wählergunst noch einmal zulegen kann. "Sie wird wohl einen tragischen Bonus bekommen", sagte der Professor der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität im Westdeutschen Rundfunk.
Allerdings sei Reker ohnehin die Favoritin gewesen, so dass die Wahl in ihrem Ausgang wohl nicht entscheidend verfälscht werde.

Eigentlich sollte schon Mitte September in der viertgrößten deutschen Stadt gewählt werden. Die Bezirksregierung hatte aber die Stimmzettel beanstandet, das Votum wurde um fünf Wochen verschoben.

(csh/top/lnw)
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