Prozess gegen Kölner Raser "Ein Kabarett auf dem Rücken der Angehörigen"

Köln · In Köln stehen zwei Raser vor Gericht, die bereits zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden waren. Nun droht ihnen das Gefängnis. Eine wichtige Rolle spielt ihr Verhalten nach der Verurteilung. Haben die Männer dazugelernt?

Die Angeklagten mit ihren Verteidigern Sebastian Schölzel (l.) und Michael Biela-Bätje. (Archivbild)

Die Angeklagten mit ihren Verteidigern Sebastian Schölzel (l.) und Michael Biela-Bätje. (Archivbild)

Foto: dpa, obe exa

Es ist kein guter Tag für Firat M., einen der Angeklagten im so genannten Raser-Prozess. Gleich zu Beginn konfrontiert ihn der Vorsitzende Richter mit der Frage, ob er im August 2016 in eine Verkehrskontrolle am Kölner Neumarkt geraten sei. Der 24-Jährige sagt, daran könne er sich nicht erinnern. Also bittet der Vorsitzende einen wichtigen Zeugen in den Saal: Es ist der Polizeibeamte Rainer Fuchs, Leiter der Ermittlungsgruppe "Rennen". Gebildet wurde diese Gruppe nach dem tödlichen Unfall vom Auenweg in Köln, bei dem im April 2015 eine 19-jährige Radfahrerin ums Leben kam, weil Firat M. und der Mitangeklagte, gleichaltrige Erkan F. sich ein illegales Rennen geliefert hatten.

Nach einem ersten Urteil mit Bewährungsstrafen könnten die beiden nun doch noch ins Gefängnis kommen - wenn sie der Kammer nicht glaubhaft vermitteln können, dass sie ihr Leben seit dem ersten Prozess geändert haben. Nachdem der Bundesgerichtshof die Aussetzung der Strafe zur Bewährung kritisiert hatte, wurde der Prozess wegen fahrlässiger Tötung wieder aufgerollt. Nun geht es vor allem um Fragen wie: Wie haben sich die Angeklagten seit dem tödlichen Unfall und dem ersten Urteil entwickelt? Hat sich ihre Vorliebe für hochmotorisierte Autos verändert? Bereuen Sie die Tat?

Polizeibeamter Fuchs bestätigt am Dienstag, dass Firat M. 16 Monate nach dem Unfall erneut in einem Mercedes saß, der so auffällig war, dass Polizisten ihn bei einer Raser-Schwerpunktkontrolle überprüften. Der Mercedes wurde in jener Nacht nicht nur gestoppt, sondern aus dem Verkehr gezogen, weil die Reifen abgefahren waren.

Nun ist es kein Verbrechen, dass Firat M. — der zu diesem Zeitpunkt keinen Führerschein mehr hatte — als Beifahrer in einem Auto saß. Aber es geht um seine Glaubwürdigkeit. Im Prozess hatte er gesagt: "Wenn ich in schnelle Autos einsteige, bekomme ich Paranoia." Er sei inzwischen ein "unerträglicher Beifahrer", habe mit der Raser-Szene nichts mehr zu tun.

Weil die Schwerpunktkontrolle im August 2016 von Journalisten begleitet wurde, gibt es sogar ein Foto, das Firat M. zeigen soll. Ein Fotograf des "Kölner Stadt-Anzeiger" hat es gemacht.

In einer kurzen Pause ist dem Angeklagten die Kontrolle dann offenbar doch wieder in den Sinn gekommen. Er sei mit einem Freund unterwegs gewesen und habe sich darauf verlassen, dass dessen Auto sicher ist. Über seinen Verteidiger Sebastian Schölzel sagt er, es sei bei der Bemängelung ja nur um die Profiltiefe der Reifen gegangen — und nicht etwa um "irgendeinen Schalldämpfer". Darauf bemerkt Rechtsanwalt Nicolaos Gazeas, der die Familie des getöteten Mädchens vertritt: "Eben. Mangelnde Profiltiefe ist ja noch schlimmer."

Die Projektgruppe der Polizei habe 2016 und 2017 insgesamt 1100 Autos sichergestellt, die nicht verkehrstauglich waren, wie der Zeuge Fuchs sagt. Illegale Rennen seien in Köln nach wie vor ein Problem, allein im vergangenen Jahr habe es 90 Anzeigen gegeben. "Gott sei Dank gab es keine tödlichen Unfälle mehr", sagt der 56-Jährige. "Das ist aber nur vom Zufall abhängig."

Raser und Fahrer, die sich an illegalen Autorennen beteiligen, können nach einer Entscheidung des Bundesrats inzwischen härter bestraft werden. Vor einer ganzen Reihe tödlicher Unfälle in Deutschland gab es dafür nur Bußgeldstrafen. "Jemandem, der mit 170 Kilometern pro Stunde durch die Stadt fährt, können wir jetzt den Führerschein und das Auto abnehmen", sagt Fuchs.

Eine Psychotherapeutin, die Firat M. eine Bescheinigung für den Prozess ausgestellt hat, sagt im Zeugenstand, der 24-Jährige habe eine posttraumatische Belastungsstörung und befinde sich seit dem Unfall und der Berichterstattung über den ersten Prozess in einem "depressiven Zustand". Die 76-Jährige hat den Angeklagten allerdings nur einmal in ihrer Praxis gesehen. "Er war beim ersten Prozess wie versteinert, deshalb wurde er als wenig empathisch wahrgenommen", sagt sie. Er habe Suizidgedanken und Schlafstörungen, fühle sich als "Totraser" stigmatisiert. "Er hat mir gesagt, dass ihm das Ganze sehr leid tut."

Anwalt Gazeas äußert seine Irritation darüber, dass die Ärztin ihre Diagnose nach nur einer Sitzung stellte. "Das ist ein Versuch, das Gericht über den Zustand des Angeklagten zu täuschen. Es ist ein Kabarett, das auf dem Rücken der Familie der Getöteten ausgetragen wird", sagt er.

Der Verteidiger des zweiten Angeklagten Erkan F. — er hatte damals den BMW gefahren, der die Radfahrerin erfasste — möchte nun ebenfalls eine psychologische Begutachtung seines Mandanten, um zu zeigen, dass dessen Reue "nachhaltig und aufrichtig" sei, sagt Anwalt Michael Biela-Bätje.

Die Angeklagten waren 2016 zu Bewährungsstrafen von zwei Jahren sowie einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden. Am 22. März soll die Entscheidung darüber fallen, ob sie nun doch ins Gefängnis müssen.

(hsr)
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