Sexuelle Übergriffe in Köln Gutachter glaubt an Verabredung von Silvester-Tätern

Köln/Düsseldorf · Waren die massenhaften Diebstähle und sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht in Köln von organisierten Banden geplant? Einem Gutachten zufolge verabredeten sich viele der Täter im Vorfeld - per Mundpropaganda in Flüchtlingsheimen oder in sozialen Netzwerken. Doch nur wenige kamen in der Absicht, eine Straftat zu begehen.

Chronik der Übergriffe in Köln: Die Ereignisse rund um die Silvesternacht
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Die Ereignisse rund um die Silvesternacht in Köln

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Foto: dpa/Markus Boehm

Der Rechtspsychologe Rudolf Egg beschreibt die Vorfälle der Kölner Silvesternacht als "zahlreiche, zumeist überfallartige sexuelle Belästigungen und Eigentumsdelikte". Begangen wurden sie "durch Männer verschiedener Altersgruppen, die weit überwiegend aus nordafrikanischen und/oder arabischen Ländern stammten".

Egg hat zu den Silvestervorfällen ein Gutachten für den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) im NRW-Landtag erstellt. Dafür beleuchtete er dem Landtag zufolge alle knapp 1200 Strafanzeigen, die nach der Silvesternacht bei der Polizei eingegangen waren. Das Gutachten liegt unserer Redaktion vor. Die zentralen Fragen: Welches Motiv hatten die Männer, die zum Jahreswechsel 2015/2016 im Bereich des Kölner Hauptbahnhofs in Gruppen zahlreiche Frauen bedrängt, bestohlen und sexuell belästigt haben? Hingen die Taten zusammen, waren sie geplant?

Nur teilweise, zu diesem Schluss kommt Egg in seinem Gutachten. Zwar geht er davon aus, dass sich die Männer nicht zufällig auf dem Bahnhofsvorplatz getroffen haben. "Dafür waren zu viele Männer zu selben Zeit am selben Ort. (...) Es liegt daher nahe, dass es im Vorfeld der Ereignisse irgendeine Form der Verabredung oder Absprache gegeben hat. (...) Zu denken wäre hier an eine Art Mundpropaganda in Flüchtlingsheimen oder anderen Wohnunterkünften oder auch an Verabredungen unter Nutzung sozialer Medien wie Facebook oder WhatsApp". Egg betont allerdings, dass es in den Strafanzeigen keine Hinweise auf ein geplantes Vorgehen der Männer gebe.

Einladung zum Treffen, nicht zur Straftat

Auch in Bezug auf das Tatmotiv der Männer lässt sich laut Gutachten den Strafanzeigen nicht viel entnehmen. "Aus kriminologischer Sicht wäre es jedoch äußerst unwahrscheinlich, dass sich in dieser Nacht Hunderte von Männern ausschließlich deshalb zu einem Treffen vor dem Kölner Hauptbahnhof verabredet hatten, um dort wie von Anfang an geplant (...) massenhaft Eigentums- und Sexualdelikte zu begehen". Egg begründet diese Einschätzung damit, dass der organisatorische Aufwand eines solchen Treffens erheblich gewesen wäre und Spuren hinterlassen hätte, zum Beispiel in sozialen Netzwerken. Der Gutachter vermutet deshalb, "dass es zwar in den entsprechenden Personenkreisen so etwas wie eine allgemeine Einladung zur Teilnahme an einem Trefen vor dem Kölner Hauptbahnhof gegeben hat", dass aber die meisten Männer ohne die Absicht herkamen, eine Straftat zu begehen. Einige der späteren Täter könnten demnach mit fester Absicht gekommen sein, Diebstähle zu begehen und/oder Frauen sexuell zu belästigen. Andere könnten nur zum Feiern gekommen sein, andere wiederum einfach neugierig gewesen sein, was passieren würde.

Egg geht deshalb davon aus, dass nur einzelne Täter oder Tätergruppen organisiert vorgingen. Als Erklärung für die große Zahl der verübten Taten zieht der Gutachter die "Broken-Window-Theorie" heran, die in den 1980er Jahren in den USA entwickelt wurde. Derzufolge reduziert "eine Situation bzw. ein Umfeld, das Menschen ein hohes Maß an Anonymität verleiht, das Gefühl von persönlicher Verantwortung und damit die Beachtung von sozialen und rechtlichen Regeln, wenn vor Ort bereits andere Straftaten begangenen wurden, die offenbar ohne Konsequenzen geblieben sind. Genau dies war in der Kölner Silvesternacht der Fall", heißt es in dem Gutachten.

Viele Täter dürften also spontan in Situation eingestiegen und sich an Diebstahls- und Sexualdelikten beteiligt haben. Die große Zahl der versammelten Männer dürfte den Beteiligten "das sichere Gefühl" gegeben haben, Teil einer anonymen Masse zu sein, die "keiner oder jedenfalls keiner sehr großen sozialen Kontrolle unterliegt". Als erste Straftaten einzelner ohne große Konsequenzen blieben, dürften immer mehr Personen eingestiegen sein. Egg spricht von einem "rechtsfreien Raum", der hier enstanden sei, ein "Zustand der scheinbaren Regellosigkeit, der den Beteiligten irgendwie alles zu erlauben schien und der auch bewirkte, dass die bei vielen Männern wahrscheinlich durchaus vorhandenen inneren Hemmungen nach und nach abgebaut wurden".

Zur Verhinderung dieses "Sogeffekts" wäre ein "möglichst rasches" und vor allem "frühzeitiges Eingreifen" der Polizei und sonstiger Ordnungskräfte nötig gewesen, schreibt Egg weiter. Doch der Bahnhofsvorplatz wurde erst kurz vor Mitternacht und damit sehr spät geräumt. Viele Geschädigte erlebten die Situation vor Ort als "sehr bedrohlich und beängstigend". Zeugen, darunter auch Polizisten, hatten von teils chaotischen Zuständen auf dem Bahnhofsvorplatz berichtet. Der Polizei wurde vorgeworfen, nicht Herr der Lage gewesen zu sein.

Der "Untersuchungsausschuss Silvester 2015" mit seinem Vorsitzenden Peter Biesenbach (CDU) will die Geschehnisse nun aufklären. Das Gutachten des Fachpsychologen für Rechtspsychologie Rudolf Egg wurde dem Ausschuss am 30. September vorgelegt. Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses hatten dem Gutachter für seine Arbeit 24 Fragen mitgegeben, anhand derer er das durch die Geschädigten geschilderte Geschehen untersuchen sollte. Die Fragen können hier im Untersuchungsauftrag des Landtages eingesehen werden. (PDF)

(lsa)
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