Ex-Polizist Nick Hein "Silvester war am Hauptbahnhof immer bürgerkriegsähnlich"

Nick Hein war elf Jahre bei der Polizei – und drei Jahre im Kölner Hauptbahnhof auf Streife. Heute ist er Profi-Kampfsportler, über seine Zeit als Polizist hat er ein Buch geschrieben. Wir haben mit ihm über seine Erfahrungen gesprochen.

 Nick Hein in Köln. Im Hintergrund ist der Hauptbahnhof.

Nick Hein in Köln. Im Hintergrund ist der Hauptbahnhof.

Foto: Hauser

Nick Hein war elf Jahre bei der Polizei — und drei Jahre im Kölner Hauptbahnhof auf Streife. Heute ist er Profi-Kampfsportler, über seine Zeit als Polizist hat er ein Buch geschrieben. Wir haben mit ihm über seine Erfahrungen gesprochen.

Der 32-jährige Kölner quittierte seinen Job bei der Bundespolizei Ende 2014 zugunsten seiner Mixed-Martial-Arts-Sportlerkarriere. "The Sergeant" ist sein Kampfname. In seinem Buch "Polizei am Limit", das am 16. Dezember erscheint, beschreibt Hein die personelle Unterbesetzung bei der Polizei, aber auch den Frust der Kollegen — über Überstunden, Respektlosigkeit der Bevölkerung und schlechte Ausrüstung.

Herr Hein, Sie humpeln, was ist passiert?

Hein Ich habe mich beim Training verletzt, Bänderdehnung. Es sieht schlimmer aus, als es ist. Die Stütze ist nur zur Stabilisierung des Knies, damit ich noch ein bisschen weiter trainieren kann, nächstes Jahr geht es schon weiter mit Kämpfen. Ich war heute morgen aber schon auf der 400-Meter-Bahn und habe Kondition trainiert.

In Köln wurde diese Woche das Einsatzkonzept für Silvester vorgestellt. 1500 Beamte werden dort sein. Was halten Sie davon?

Hein Man möchte jetzt zu Silvester natürlich demonstrieren: Es ist alles unter Kontrolle. Die Kollegen müssen alle antanzen, Kurzurlaube wurden gestrichen, wie sie mir erzählt haben. Die Oberbürgermeisterin wird da sein, Vertreter aus der Politik. Und es wird natürlich nichts passieren. Fakt ist aber: Die anderen 364 Tage ist es am und im Hauptbahnhof nicht besser als vor der Silvesternacht 2015/16. Kurzfristig wurden mehr Polizisten eingesetzt, aber das Personal wurde wieder ausgedünnt, weil die Beamten auch immer für andere Dinge eingesetzt werden, zum Beispiel an der Grenze in Bayern oder am Frankfurter Flughafen. Mich schockt ehrlich gesagt, wie lapidar man hinzunehmen scheint, dass die Situation einfach so ist.

Was ärgert Sie am meisten?

Hein Dass geredet, aber nichts getan wird. Es wird zwar gesagt: Wir stellen mehr Polizisten ein. Die Maßnahmen sind aber nicht annähernd ausreichend, um die vorhandenen Probleme in den Griff zu kriegen. Nehmen wir das Personal: Wir haben deutschlandweit 21 Millionen Überstunden, die die Polizei vor sich herschiebt. Bei der Bundespolizei sind es allein 2,7 Millionen. Die Gewerkschaft hat eine Rechnung aufgestellt: Es bräuchte 9000 zusätzliche Polizeibeamte, um die Überstunden in den Griff zu kriegen. Man möchte jetzt 3000 neue Beamte bei der Bundespolizei einstellen in den kommenden Jahren. Im selben Zeitraum gehen aber auch 2000 in Rente. Also reden wir über 1000 Beamte mehr — das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein.

 Nick Hein hat seine Erfahrungen als Polizist in einem Buch verarbeitet.

Nick Hein hat seine Erfahrungen als Polizist in einem Buch verarbeitet.

Foto: Verlag

Wie reagieren Ihre Ex-Kollegen auf die Enthüllungen in Ihrem Buch? Es sind ja viele Interna, die Sie offenlegen.

Ex-Polizist Nick Hein: "Silvester war am Hauptbahnhof immer bürgerkriegsähnlich"
Foto: dpa, obe fgj

Hein Ich kriege von Kontroll- und Streifenbeamten aus ganz Deutschland massenhaft Zuschriften mit dem Tenor: "Danke, danke, danke. Wir dürfen das alles nicht sagen. Gut, dass du es machst." Der Frust geht ja normalerweise nicht über den Aufenthaltsraum hinaus. Neulich habe ich einen Screenshot von einem Beamten bekommen, der eine ganz normale Diensthose bestellen wollte, weil seine kaputt ist. Die Antwort des Chefs war: Vor 2018 wird das nichts. Kollegen kaufen sich selbst Handschuhe oder Stichschutzeinlagen für die Westen, um sich gut ausgerüstet zu fühlen.

Es gibt keine negativen Reaktionen? Sie schreiben ja sehr offen, etwa über Einsatzstärken oder den nicht funktionierenden Digitalfunk.

Hein Ich weiß, dass von der Polizeiführung geprüft wird, ob ich gegen das Dienstgeheimnis verstoßen habe. Das wurde mir intern zugespielt. Fakt ist: Die Führung weiß, wie heillos überfordert die Kollegen sind. Aber es gibt nicht mehr Beamte, allein durch die Abordnung an die bayerische Grenze. Wir sind noch weniger als vor der Silvesternacht 2015/16. Scheinbar wird das Problem nicht ernst genommen. Ich versuche natürlich, die Informationen so kompakt zu halten, dass es nicht bedenklich wird. Also wenn ich erzähle, dass der Digitalfunk an manchen Stellen des Kölner Hauptbahnhofs nicht funktioniert, werde ich nicht sagen, wo die Funklöcher sind. Ich will niemanden gefährden, aber ich will, dass sich etwas ändert.

Warum haben Sie Ihren Job als Polizist hingeschmissen?

Hein Ich hab immer auch Kampfsport trainiert. 2014 habe ich dann zwei Kämpfe in einer sehr hohen Liga gemacht. Die Polizeidirektion der Bundespolizei in St. Augustin hat Druck von oben bekommen und dann mussten sie mir sagen: Entweder oder. Und da hab ich "oder" gesagt. Damit hat keiner gerechnet. Es war natürlich ein Risiko, den Beamtenstatus aufzugeben. Da hängt auch eine Familie dran. Ich weiß nicht, ob ich die Entscheidung getroffen hätte, wenn ich im Sport nicht die Chance gehabt hätte, auf so einem hohen Niveau zu kämpfen. Die UFC, in der ich kämpfe, ist die höchste Liga — vergleichbar mit der Basketball-Profiliga NBA.

Inzwischen geben Sie Seminare für Polizeibeamte?

Hein Lustigerweise kamen kurz nach meiner Kündigung schon erste Anfragen, ob ich nicht ein Seminar geben könnte für die GSG 9. Mittlerweile gebe ich deutschlandweit Kurse für Polizisten: Kampfsport und Konfliktsituationen im Zweikampf im polizeilichen Einsatzgeschehen.

Glauben Sie, Deutschland ist sicher?

Hein Die Frage ist: Sicher wovor? Für einen normalen ruhigen Tag sind wir mit Sicherheit am Bahnhof einigermaßen okay. Aber nehmen wir die Anschläge in Paris: Wir sind keineswegs auf so etwas vorbereitet. Wir haben nicht das Equipment, das heißt Schutzwesten mit entsprechender Schutzklasse. Die Kugeln aus einer Kalaschnikow gehen da durch wie durch Butter. Wir haben keine gepanzerten Fahrzeuge. Wir haben nicht die Bewaffnung mit der entsprechenden Reichweite und Munition. Und wir haben keinerlei Ausbildung in diesem Bereich. Es gibt zwar "Amok-Schulungen", die kann man einmal im Jahr machen. Aber für so einen Ausnahmezustand ist man damit nicht vorbereitet. Es kommt noch dazu, dass diese Schulungen durch die ganzen Sonderschichten kaum noch wahrgenommen werden. Und die Ausrüstung sollte zumindest verfügbar sein. Wir haben zwar das SEK und die GSG 9, aber die brauchen erst mal eine Weile, bis sie da sind. Und in dem Fall sperren wir ja nicht ab und sagen: Hier bitte nicht weiter. Nein, wir müssen da ja rein gehen. Ich krieg Gänsehaut, wenn ich drüber nachdenke.

Aber lassen sich Anschläge wie in Paris überhaupt verhindern?

Hein Mit viel mehr Polizeipräsenz denke ich schon, ja. Und einem verbesserten Überwachungssystem. Jetzt gibt es 200 neue Kameras im Hauptbahnhof. Aber wie lange hat das gedauert? Wir ärgern uns mit diesem alten System schon seit Jahren herum. Der Digitalfunk: Sollte 2006 kommen, zur WM. 2012 gab es dann die ersten Testläufe. Ganz Europa hat da schon digital gefunkt — nur nicht Deutschland und Albanien. Und er funktioniert immer noch nicht richtig. Ich meine: Das ist unser Hauptkommunikationsmittel!

Wie haben Sie Silvester in Ihrer Dienstzeit in Köln erlebt?

Hein Die Silvesternächte, die ich am Hauptbahnhof mitgemacht habe, waren immer bürgerkriegsähnlich. Auf dem Bahnhofsvorplatz wurde wild geböllert, wir sind volles Brett beschossen worden, aus der Menge heraus, die Stimmung war immer aggressiv. Das Phänomen der sexuellen Übergriffe und diese konzentrierte Masse an Intensivtätern auf einem Punkt hat es so vorher noch nicht gegeben. Aber Karneval und Silvester in den Jahren davor war immer Ausnahmezustand.

Hat Sie die Arbeit als Polizist frustriert?

Hein Ich war elf Jahre Polizist. Schon in meiner ersten Arbeitswoche in Köln, im Zentrum der guten Laune, wurde ich auf den Boden der Tatsachen geholt. Ich war geschockt von den Anfeindungen, obwohl ich Uniform getragen habe. Ich hatte als Jugendlicher Respekt vor der Polizei. Den hab ich als Beamter nicht erfahren. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass Polizisten auf der einen Seite so angefeindet werden und es auf der anderen Seite so wenig Rückhalt von der Politik gibt. Ich denke, ein großes Problem ist, dass viele Straftaten gegen Polizisten unter den Tisch fallen. Die Staatsanwaltschaft sieht von der Verfolgung von Straftaten ab, wenn diese im Vergleich mit einer anderen Strafe, die der Täter zu erwarten hat, nicht so sehr ins Gewicht fallen. Wenn jemand einen Raub oder eine Körperverletzung begeht und bei der Festnahme ein Polizist verletzt oder angespuckt wird, dann fällt das bei der Teileinstellung oft unter den Tisch. Das vermittelt den Tätern doch, sie könnten Polizisten angreifen, bespucken. Ich verstehe nicht, warum man in diesem Bereich nicht mehr Härte zeigt. Das ist wie bei der Kindererziehung. Wenn ich meinem Kind alles durchgehen lasse, dann erziehe ich ein Arschloch.

Sie bereuen nicht, den Job gewechselt zu haben. Was gibt Ihnen der Kampfsport?

Hein Ich kann das nicht beschreiben, das Gefühl, wenn man rausgeht und dann am Ende der Arm in die Höhe gestreckt wird. Es ist ein Hochgefühl, das man schwer vergleichen kann. Es ist eine unwirkliche Situation, wie bei meinem letzten Kampf, wo in einer Halle 12.000 Leute sitzen, und man hört schon dieses Trampeln der Füße in den Rängen, whom, whom, whom, und dann die Musik. Mein erster Gegner aus der UFC vor zwei Jahren war Drew Dober. Wir hatten einen heftigen Kampf und er kam zu meiner Aftershowparty. Wir hatten unsere blauen Augen, und er hatte einen Cut. Er hat dort meine Schwester kennengelernt, und die beiden sind jetzt verheiratet.

Wie lange kann man als Kampfsportler aktiv sein?

Hein Das fragt mich mein Arzt auch immer wieder. Ich bin jetzt 32 und kämpfe in einer niedrigen Gewichtsklasse. Bisher bin ich verschont geblieben von größeren Verletzungen. Mein Trainer sagt, dass noch zehn Jahre drin sind. Mit fünf Jahren wäre ich zufrieden. Je mehr ich mich mit der Gesellschaft beschäftige, umso mehr wachsen meine Ambitionen, später vielleicht auch mal in die Politik zu gehen. In Zeiten, in denen Arnold Schwarzenegger Gouverneur werden kann und Donald Trump Präsident, schaffe ich es auch in den Bundestag. (lacht)

(hsr)
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