Unwort des Jahres Köln weckt Ressentiments

Köln · In der Silvesternacht wurde wahr, was lange heimlicher Argwohn war. Nun könnte mit größerer Nüchternheit über Integration diskutiert werden, stattdessen entlädt sich Häme gegen Gutmenschen. Dabei hat das Land sie nötig.

Unwort "Gutmensch": Köln weckt Ressentiments
Foto: Stephan Jansen

Wie übersichtlich die deutsche Wirklichkeit bis vor Kurzem noch schien. Die Grenzen zwischen den ideologischen Lagern waren klar, man kannte die widerstreitenden Haltungen etwa zur Flüchtlingsfrage: auf der einen Seite jene, die teilhaben wollen an der neuen Fremdenfreundlichkeit, die sich engagieren für die Menschen, die unter schlimmen Bedingungen ohne Hab und Gut, aber mit vielen Hoffnungen ins Land strömen. Andererseits jene, die das alles für Multikulti-Träumerei halten, die schon das Wort Willkommenskultur aggressiv macht, denen aber als Reaktion auf die großen Flüchtlingsbewegungen nur Abschottung einfällt. Viele wollten sich davon distanzieren, hatten Spaß an der neuen deutschen Vorbildlichkeit, wollten das "Yes, we can" ins Deutsche übersetzen.

Die Silvesternacht hat das verändert. Ausländer, darunter Flüchtlinge, griffen im Herzen einer deutschen Großstadt Frauen an. Männer, die in islamischen Ländern sozialisiert wurden, wurden aggressiv, zudringlich, straffällig. Und die kulturelle Herkunft der Täter spielt eine Rolle. Was zuvor als Ressentiment gegolten hatte, wurde Wirklichkeit.

Das macht das Sprechen über die Ereignisse von Köln so schwierig. Jahrzehntelang haben sich die Deutschen darin geübt, gegenüber Ressentiments wachsam zu sein, keine pauschalen Urteile zu fällen, niemanden wegen seiner Herkunft zu verdächtigen. Und natürlich war das richtig und historisch geboten. Aber nun ist es eben an der Zeit, über Familienstrukturen in islamisch geprägten Ländern, über verwöhnte Söhne, fehlende Väter, korrupte Autoritäten zu diskutieren. Und darüber, wer genau nach Deutschland kommt, mit welchen Motiven, welchem Rollenverständnis, und wie darauf zu reagieren ist. Das sind Fragen nach soziokultureller Prägung, keine Diffamierungen. Man könnte diese neuen Debatten als notwendige Ernüchterung verstehen nach einer Phase der Euphorie, in der viele Menschen zum ersten Mal erlebten, wie beglückend ehrenamtliche Arbeit und der Kontakt mit anderen Kulturen sein können. Stattdessen hat ein Diskurs der Häme, Verunglimpfung und heimlichen Genugtuung eingesetzt, der die Gesellschaft spaltet.

Menschen, die sich voll guten Willens für Flüchtlinge engagieren, müssen sich plötzlich rechtfertigen oder ziehen sich lieber gleich zurück; in Schul-Aulen wird auf einmal gepfiffen, wenn die nächste Sammelaktion für Notleidende angekündigt wird. Und wer zur Mäßigung aufruft, weiter darauf pocht, nach den Hintergründen der Geschehnisse, auch der sozialen Prägung der Täter zu fragen, wird der Verharmlosung und des mangelnden Mitgefühls mit den Opfern auf der Kölner Domplatte bezichtigt.

Es passt in diese Stimmungslage, dass eine Jury in Darmstadt gerade "Gutmensch" zum Unwort des Jahres gewählt hat. Mit dem Begriff würden Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd diffamiert, rügen die Sprachkritiker. Wurden vor Köln Menschen mit Bedenken in der Flüchtlingsfrage vorschnell in die rechte Ecke gedrängt, gilt jetzt als gefährlich arglos, wer weiter für die offene Gesellschaft eintritt. Die "Gutmenschen" sind argumentativ in die Ecke geraten.

Weil etwas, das sie nicht wahrhaben wollten, Wirklichkeit geworden ist, scheint nun verbal alles möglich. Frust über Politiker, Medien, die Kirchen bricht sich Bahn. Neue Ressentiments treten zutage. Das ist gefährlich, denn Worte sind immer Wegbereiter. Schon gibt es wieder Überfälle auf Menschen, die nichts anderes getan haben, als ausländisch auszusehen; die Zahlen rechtsradikaler Übergriffe sind schon vor Köln gestiegen. Und Asylbewerberheime haben in Deutschland schon einmal gebrannt. Es kann aber heilsam sein, wenn nun neben berechtigten Bedenken auch verdrängter Argwohn ausgesprochen wird. Denn erst dann kann die Gesellschaft dem begegnen.

Ressentiments werden mächtig im Verborgenen. Das Wort selbst verrät es schon, es stammt aus dem Französischen und bedeutet "heimlicher Groll". Ressentiments sind also etwas anderes als Vorurteile. Nicht das Übereilte, Unhinterfragte, Voreilige macht sie gefährlich, sondern die Empfindungen, in denen sie wurzeln: Wut, Ohnmacht, Gefühle des Zurückgesetztseins, des Nichtgehörtwerdens. Ressentiments sind aus Unbehagen oder gar Angst geborene Glaubenssätze, in die sich Kränkung und Rachegelüste mischen. Das Ressentiment hat etwas Gehemmtes, Verdrängtes, Verbissenes, das sich irgendwann entladen muss. Aber eben nicht in Kritik, die auf eine Verbesserung der Zustände zielt, sondern in der Herabwürdigung Andersdenkender. Und dann wird etwa über die "Gutmenschen" hergezogen mit einer Wut, die erschrecken kann und die Gräben in der Gesellschaft vertieft.

Ohne Zweifel: Es hat Naivität gegeben im Umgang mit den Flüchtlingen. Und Journalisten, die allein die Aufgabe haben, Öffentlichkeit herzustellen über relevante Themen, haben sich teils pädagogisch verhalten und sich zu sehr auf die positiven Geschichten dankbarer Flüchtlinge konzentriert. Doch Journalisten sind ein Teil der Gesellschaft, und so offenbart sich darin auch, wie schwer es ist, Sprachbarrieren und kulturelle Grenzen zu überwinden, um zu verstehen, wer sich da nach Deutschland aufgemacht hat. Und welche Weltbilder er mitbringt. Das kann man naiv nennen, indes bringt das nicht weiter. Die Menschen sind da, weitere werden kommen, und Deutschland kann von ihnen profitieren.

Allerdings nur, wenn die Gesellschaft sich von Ereignissen wie in Köln nicht weiter spalten lässt, sondern gegen Kriminelle vorgeht und sich ansonsten um Strategien für die Integration kümmert. Realisten braucht das Land. Und Gutmenschen.

(dok)
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