Kölner Archiveinsturz Verjährung droht: Schwierige Suche nach den Schuldigen

Köln · "Alle weg, alle raus!" Über die U-Bahn-Baustelle vor Kölns Stadtarchiv hallen am 3. März 2009 die Rufe aufgeregter Arbeiter. Die Menschen im Archivgebäude hören ein Unheil verkündendes Knirschen. Mit knapper Not können sie fliehen, ehe das Stadtarchiv an jenem Dienstag um 13.58 Uhr in sich zusammenstürzt. Zwei junge Bewohner eines Nachbarhauses sterben bei der Katastrophe, deren Ursache auch fast fünf Jahre später weiter ungeklärt ist. Dabei bleiben der Staatsanwaltschaft nur noch wenige Wochen, um mögliche Verantwortliche des Desasters zu benennen.

Kölner Stadtarchiv eingestürzt: Augenzeugen berichten
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Foto: ddp

Denn derzeit führen die Kölner Strafverfolger ihre Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung und Baugefährdung immer noch gegen Unbekannt. Sollte die Staatsanwaltschaft nicht bis zum fünften Jahrestag des Unglücks am 3. März namentlich Beschuldigte nennen, wären mögliche Straftaten verjährt. Zum aktuellen Stand ihrer Ermittlungen schweigt die Behörde in diesen Tagen.

Dabei herrscht wahrlich kein Mangel an Theorien über den Grund des Archiveinsturzes, dessen Gesamtschaden die Stadt Köln auf rund eine Milliarde Euro beziffert. Schon kurz nach dem Unglück gab es Berichte, wonach aus der U-Bahn-Baustelle mehr Wasser abgepumpt wurde als genehmigt. Auch Meldungen über falsche Bauunterlagen machten die Runde.

Eines von mehreren denkbaren Szenarien für den Einsturz zeichnet folgendes Bild: Beim U-Bahnbau vor dem Archivgebäude könnte es ein Leck in einer der Schlitzwände gegeben haben, die 40 Meter tief in die Erde reichen und die Baugrube stabilisieren. Durch das Leck an dieser Lamelle drang womöglich Wasser in die Baugrube ein, das laufend abgepumpt werden musste.

Dabei wurden auch große Mengen Sand mit abgepumpt - an der Stelle, an der das Wasser aus Kölner U-Bahn-Baugruben in den Rhein geleitet wurde, fand man später sogar eine Sandbank. So könnte unter dem Stadtarchiv ein Hohlraum entstanden sein, in den das Gebäude schließlich hineinstürzte.

Während diese Theorie auf einen Baufehler als Unglücksursache hinauslaufen würde, geht eine andere Erklärung von einem sogenannten "hydraulischen Grundbruch" aus. Dabei wäre das Wasser nicht durch ein Leck in der Schlitzwand, sondern unter der Schlitzwand hindurch in die Baugrube vorgedrungen - was eher auf Defizite bei der Bauplanung als bei der Bauausführung hindeuten könnte.

Ob es tatsächlich ein Loch in der Schlitzwand gab, dürfte sich erst im Laufe des Jahres herausstellen. Derzeit wird an der Einsturzstelle ein rechteckiger Besichtigungsschacht gebaut, der bis zu der womöglich schadhaften Stelle der Lamelle tief unter dem Unglückskrater hinunterreicht.

Dass die juristische Aufarbeitung des Kölner Archiveinsturzes immer noch auf der Stelle tritt, ist auch der zeitaufwändigen Bergung der verschütteten Archivalien geschuldet. Erst im August 2011 wurden die Bergungsarbeiten für beendet erklärt. Denn das 2000 Jahre alte Köln besitzt das größte kommunale Archiv nördlich der Alpen: Insgesamt beherbergte das eingestürzte Gebäude 30 Regalkilometer Archivalien - zum Vergleich: Mittelgroße Kommunalarchive haben etwa drei Kilometer Aktenbestand.

Zum Kölner Archiv gehörten allein rund 65.000 Urkunden aus 1100 Jahren Stadtgeschichte, 1800 Handschriften aus Mittelalter und früher Neuzeit und 150.000 Karten und Pläne. Außerdem wurden dort mehr als eine halbe Million Fotos und etwa 800 Sammlungen beziehungsweise Nachlässe aufbewahrt, darunter die des Komponisten Jacques Offenbach und des Literatur-Nobelpreisträgers Heinrich Böll.

Insgesamt konnten 95 Prozent des Archivguts aus Trümmern und Grundwasser geborgen werden - die restlichen fünf Prozent sind unwiederbringlich verloren. Die Restaurierung aller geborgenen Archivalien wird nun Jahrzehnte dauern. Wollte ein Restaurator allein die Mammutaufgabe nach dem Kölner Archiveinsturz bewältigen - er wäre 6300 Jahre damit beschäftigt.

rh/ul

AFP

(AFP)
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